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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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widersprach der Doktor mit Entschiedenheit,
    »das werdet Ihr nicht tun, Nic. – Ich würde Euch schon da-
    ran zu hindern wissen.«
    »Ihr?«
    »Ich hänge mich an Euch an. Ich zerre Euch zurück.
    Schlage auf Euch los, wenn’s sein muß.«
    Er wußte nicht mehr, was er sagte, der unglückliche Pa-
    tak.Nic Deck hatte diese Redereien gar keiner Antwort ge-
    würdigt, und nachdem er sich die Flinte wieder umgehängt
    hatte, machte er einige Schritte au das Ufer des Nyad zu.
    »Wartet doch, wartet doch nur!« rief der Doktor kläg-
    lich. »Ein wahrer Teufelskerl! Nur noch einen Augenblick!
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    Mir sind ja die Beine ganz steif. Meine Gelenke bewegen
    sich nicht.«
    Die Gelenke verloren ihre Unbeweglichkeit jedoch sehr
    bald, denn der Ex-Krankenpfleger mußte sich mit seinen
    kurzen Beinen wohl oder übel zwingen, dem Förster nach-
    zulaufen, der sich nicht einmal nach seinem jammernden
    Gefährten umdrehte.
    Es war jetzt 4 Uhr. Über den Kamm des Plesa, der sie
    bald ganz aufhalten sollte, hinstreichend, beleuchteten die
    Sonnenstrahlen nur noch das hohe Gezweig des Tannen-
    walds. Nic Deck hatte alle Ursache, schnell vorwärts zu
    kommen, denn unter den Bäumen wurde es, wenn der Tag
    zur Neige ging, sehr bald ganz dunkel.
    Diese Wälder mit den gewöhnlichen alpinen Baumarten
    bieten einen merkwürdigen und seltsamen Anblick. Statt
    der schiefen, gekrümmten, wirr verzweigten Bäume wei-
    ter unten, streben hier gerade, vereinzelt bis 50 und 60 Fuß
    über der Wurzel nackte Stämme empor, die nirgends einen
    Astknoten aufweisen und ihre immergrünen Kronen wie
    eine flache Decke ausbreiten. Weder Gebüsch noch Gräser
    umhüllen ihren Fuß. Ihre Wurzeln kriechen auf der Erde
    hin, wie von der Kälte erstarrte Schlangen. Der Erdboden
    selbst ist nur mit gelblichem, glattem Moos bedeckt, da und
    dort mit verdorrtem Reisig bestreut, sowie mit einzelnen
    abgefallenen Tannenzapfen, die knirschend unter dem Fuß
    des Wanderers brechen. Dazu der steile und von kristallini-
    schem Gestein durchsetzte Abhang, an dem sich die beste
    Ledersohle schnell abnutzt. Der Weg durch diesen Tannen-
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    wald gestaltete sich denn auch auf eine Viertelmeile weit
    recht ermüdend. Um die ihn gelegentlich versperrenden
    Felsblöcke zu erklimmen, bedurfte es einer Geschmeidig-
    keit des Körpers, einer Kraft der Schenkel, und einer Sicher-
    heit in der Beherrschung aller Glieder, die dem Doktor Pa-
    tak leider nicht eigen waren. Wenn Nic Deck für sich allein
    eine Stunde zur Überwindung dieser schwierigen Strecke
    gebraucht hätte, so kostete es ihn nun drei mit dem »An-
    hängsel« seines Genossen, da er wiederholt stehenbleiben
    mußte, um auf ihn zu warten, oder ihm dabei zu helfen, ein
    für seine kurzen Beine zu hohes Felsstück zu erklimmen.
    Der Doktor hatte nur eine Furcht – eine entsetzliche Furcht,
    nämlich die, in dieser trostlosen Einöde allein zurückzu-
    bleiben. War der Bergabhang auch schwieriger zu ersteigen,
    so standen dafür nah beim Scheitel des Plesa wenigstens die
    Bäume nicht mehr so dicht. Sie bildeten nur noch verein-
    zelte Gruppen von mäßigem Umfang. Zwischen ihnen hin-
    durch erblickte man schon die Linie der Gebirgszüge, die
    sich am Horizont abzeichneten und noch den aufsteigen-
    den Abendnebel überragten.
    Der Nyad, dessen Verlauf der Förster bisher gefolgt war
    und den hier nur eine schwache Wasserader belebte, mußte
    in geringer Entfernung entspringen. Wenige hundert Fuß
    über den letzten beiden Stufen dehnte sich die Hochfläche
    des Orgall aus, die vom Gemäuer der Burg gekrönt war.
    Nachdem sich beide noch einmal tüchtig ins Zeug gelegt
    hatten, erreichte Nic Deck endlich diese Fläche, bei der der
    Doktor jedoch nur noch als leblose Masse ankam. Der arme

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    Mann hätte sich keine 20 Schritte mehr weiterschleppen
    können, und er stürzte jetzt auch zusammen wie der Stier,
    der unter dem Axthieb des Fleischers fällt.
    Nic Deck fühlte sich durch den beschwerlichen Aufstieg
    kaum ermüdet. Hoch aufgerichtet stand er da und ver-
    schlang mit Blicken das Karpatenschloß, dem er sich noch
    niemals so sehr genähert hatte.
    Vor ihm lag die Umfassungsmauer mit ihren Zinnen,
    selbst wieder verteidigt durch einen tiefen Wallgraben, des-
    sen einzige Brücke nach dem Tor zu aufgezogen war, das ein
    Torbogen aus großen Quadersteinen umrahmte.
    In der nächsten Umgebung auf der ganzen Hochfläche
    des Orgall war alles still und leer.
    Ein letzter

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