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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erkennbar gewesen. Einige der
    Männer glaubten schon, die natürlichen oder übernatür-
    lichen Insassen des Schlosses möchten zu Kreuze gekro-
    chen sein, da sie sahen, daß sich der Förster nicht um ihre
    Drohungen kümmerte – und das erschien ja als weiterer
    Grund, die Angelegenheit bis zur befriedigenden Lösung zu
    betreiben.
    Man drückte einander noch einmal die Hand, und Nic
    Deck, der den Doktor mit sich wegzog, verschwand am
    Winkel des Bergrückens.
    Der junge Forstmann trug seine Dienstkleidung, die mit
    breitem Schild versehene Mütze, den Waffenrock mit Gür-
    tel und den Hirschfänger darin, weite Beinkleider, eisenbe-
    schlagene Stiefel, die Patronentasche an der Hüfte und die
    lange Flinte auf der Schulter. Er stand im Ruf eines siche-
    ren Schützen, und da hier eine Begegnung, wenn auch nicht
    mit Geistern, so doch mit Landstreichern, die sich in der
    Nähe der Grenze umhertrieben, oder wenn nicht mit die-
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    sen, dann wenigstens mit oft recht bösartigen Bären nicht
    ausgeschlossen schien, so war es ja ein Gebot der Klugheit,
    zur Abwehr gerüstet zu sein.
    Der Doktor hatte sich mit einer alten Pistole mit Stein-
    schloß bewaffnet, die bei fünf Schüssen dreimal versagte. Er
    trug auch eine Axt, die ihm sein Begleiter aufgenötigt hatte,
    um sich im Notfall durch das dichte Unterholz des Plesa ei-
    nen Weg brechen zu können. Auf dem Kopf den großen Hut
    der Landleute, den Körper in einen anschließenden Rock
    fest eingeknöpft, trug er an den Füßen mächtige Schuhe mit
    festem Eisenbeschlag. Trotz dieser schweren Ausrüstung
    hoffte er aber doch davonlaufen zu können, sobald sich
    dazu eine irgend passende Gelegenheit bieten würde.
    Nic Deck und er hatten sich gleichmäßig mit einigem
    Vorräten versorgt, die sie im Rucksack trugen, um ihren
    Ausflug gegebenfalls länger ausdehnen zu können.
    Über die Biegung der Straße hinausgekommen, gingen
    Nic Deck und der Doktor einige hundert Schritte längs des
    Nyad auf dessen rechtem Ufer hin. Der eigentliche Weg, der
    die Schluchten des Bergstocks vielfach umkreiste, hätte sie
    zu weit nach Westen geführt. Am vorteilhaftesten wäre es
    nun gewesen, wenn sie dem Bett des Bergbachs immer wei-
    ter hätten folgen können, da das die Entfernung bis zum
    Schloß auf ein Drittel verkürzt hätte, denn der Nyad ent-
    springt unmittelbar in den Klüften der Hochfläche des Or-
    gall. Das anfänglich gangbare Steilufer, das weiterhin sehr
    tief eingeschnitten und von Felsblöcken unterbrochen war,
    gestattete dann aber selbst Fußgängern kein Fortkommen
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    mehr. Die beiden Wanderer mußten deshalb schräg nach
    links abweichen, um sich der Richtung zum Schloß wieder
    zuzuwenden, wenn sie die untere Zone der Wälder des Plesa
    hinter sich hatten.
    Das war übrigens die einzige Seite, von der aus man zur
    Burg gelangen konnte. Zur der Zeit, als Baron von Gortz
    noch darin wohnte, bildete ein Verbindungsweg zum Dorf
    Werst, dem Rücken des Vulcan und dem Tal der walachi-
    schen Sil entlang, eine Art schmale Schneise, die in die-
    ser Richtung angelegt worden war. Jetzt wucherte an ihr
    entlang allerdings schon wieder seit 20 Jahren Baum und
    Strauch, die sie so dicht verschlossen waren, daß kein Weg,
    kein Schlangenpfad hindurch mehr aufzufinden war.
    Beim Verlassen des tiefer ausgehöhlten Bettes des Nyad,
    durch das ein richtiger Wasserschwall hinunterschoß, blieb
    Nic einmal stehen, um sich zu orientieren. Das Schloß
    war jetzt nicht zu sehen. Es konnte erst jenseits des Wal-
    des wieder hervortreten, der die unteren Stufen des Berges
    bedeckte – eine in der Oreographie der Karpaten ganz ge-
    wöhnliche Anordnung. Die Himmelsgegenden mußten also
    hier beim Mangel aller Merkmale schwer zu bestimmen
    sein. Nur die Stellung der Sonne, deren Strahlen über die
    entfernten Bergkämme im Südosten strichen, boten hierfür
    einen Anhalt.
    »Da sieht Er’s ja, Förster, da sieht Er’s. Nicht einmal ein
    Weg ist vorhanden ... oder wenigstens nicht mehr da.«
    »Es wird sich schon einer herstellen lassen«, erwiderte
    Nic Deck.
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    »Ja, das ist leicht gesagt, Nic ...«
    »Und auch leicht auszuführen, Patak.«
    »Ihr seid nach wie vor fest entschlossen?«
    Der Förster begnügte sich mit einem bejahenden Zei-
    chen zu antworten und schlug einen Weg quer durch die
    Bäume ein.
    Da empfand der Doktor ein kaum niederzukämpfendes
    Verlangen, stehenden Fußes umzukehren; sein Begleiter,
    der einmal den Kopf

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