Das Karpatenschloß
All-
gemeinheit den Zwang auf, jenen Eid zu brechen.
»Nun vorwärts, rafft Euch auf, Doktor«, setzte ihm Meis-
ter Koltz zu, »ruft Eure Erinnerung wieder wach!«
»Ihr wollt, daß ich rede?«
»Im Namen der Einwohner von Werst und um die Ruhe
und den Frieden des Dorfs zu sichern, befehl’ ich’s Euch!«
Ein volles Glas Rakiou, das Jonas herbeibrachte, hatte die
Wirkung, dem Doktor den Gebrauch seiner Zunge wieder-
zugeben, und in mehrfach unterbrochenen Sätzen erzählte
er dann folgendes: »Ihr wißt, wir machten uns beide zusam-
men auf, Nic und ich. Toren waren wir, reine Toren! Fast
den ganzen Tag brauchten wir, um durch die vermaledei-
ten Wälder zu dringen. Spät des Abends bei der Burg an-
gelangt – hu, ich zittre noch bei dem Gedanken und werde
mein ganzes Leben lang zittern! Nic wollte mit aller Gewalt
hinein. Ja, schlafen wollte er sogar in dem Wartturm, und
das heißt ebensoviel, wie sich mit dem Belzebub ins Bett zu
legen!«
Der Doktor brachte das alles mit so hohler Stimme vor,
daß jedem schon beim bloßen Anhören seiner Erzählung
eine Gänsehaut überlief.
»Das hab’ ich aber nicht zugegeben«, fuhr er fort, »nein,
ich gab’s nicht zu! Was wäre denn daraus geworden, wenn
ich Nic’s Verlangen nachgab? Die Haare stehen mir zu
Berge, wenn ich mir das ausmale!«
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Wenn die Haare des Doktors auf seinem Schädel jetzt
wirklich in die Höhe standen, kam das allerdings daher, daß
er sie unwillkürlich selbst durchwühlte.
»Nic mußte sich also begnügen, auf dem Plateau des Or-
gall zu bleiben. Das war eine Nacht, Ihr Leute, eine Nacht,
sag’ ich Euch! Versucht nur einmal Ruhe zu finden, wenn
einen die Geister keine Minute schlafen lassen – nein, nicht
eine Minute! Plötzlich erscheinen feurige Gespenster, in
den Wolken leibhaftige Balauris. Sie stürmen auf das Pla-
teau herab, um uns aufzufressen.«
Alle richten die Blicke zu dem Himmel, um zu sehen, ob
nicht etwa schon wieder eine Gespenstergaloppade darüber
hinwegjage.
»Und wenige Augenblicke danach«, erzählte der ent-
setzte Doktor weiter, »fing auch noch die Glocke der Ka-
pelle an zu läuten!«
Alle Ohren lauschten gespannt, und mehr als einer
glaubte entfernt Glockenschläge zu vernehmen, so sehr ver-
schärfte der Bericht des Doktors die Einbildungskraft der
an sich abergläubischen Zuhörer.
»Plötzlich«, rief er schaudernd, »ertönte ein furchtbares
Geheul – schon mehr ein Gebrüll von allerhand Raubtieren.
Nachher schoß ein blendender Schein aus den Fenstern des
Wartturms. Eine höllische Flamme badete das ganze Pla-
teau bis in den Tannenwald hin in unerträglichem Licht. Nic
Deck und ich, wir starren uns an. Oh, den Anblick wünsch’
ich meinem verhaßtesten Feind nicht! Wir gleichen nur
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noch zwei Leichnamen, die bei dem fahlen Teufelsscheine
einander angrinsen!«
Wer jetzt den Doktor Patak mit dem krampfhaft ver-
zerrten Gesicht und den unstet rollenden Augen sah, hätte
wirklich fragen können, ob der Mann nicht eben aus jener
Welt zurückgekehrt sei, nach der er schon so viele seines-
gleichen befördert hatte.
Man mußte ihn erst wieder zu Atem kommen lassen,
denn er wäre jetzt ganz außerstande gewesen, in der Erzäh-
lung fortzufahren. Das kostete Jonas ein zweites Glas Ra-
kiou, das dem Ex-Krankenpfleger einen Teil des Verstands
wiederzugeben schien, den die Geister ihm geraubt hatten.
»Was war denn aber schließlich mit dem armen Nic Deck
geschehen?« fragte Meister Koltz.
Mit gutem Grund legte der Biró ein besonderes Gewicht
auf die Beantwortung dieser Frage, da ja der junge Förster
persönlich in der Gaststube des ›König Mathias‹ durch die
Geisterstimme gewarnt worden war.
»Davon weiß ich selbst nicht mehr allzuviel«, erklärte
der Doktor. »Es war endlich wieder Tag geworden. Ich hatte
Nic Deck gebeten, auf sein Vorhaben zu verzichten, doch
Ihr kennt ihn ja, von einem solchen Starrkopf ist nichts zu
wollen. Er kletterte in den Wallgraben hinunter und mich
schleppte er hinterher. Ich hatte übrigens gar kein Bewußt-
sein von dem, was um mich her vorging. Nic geht dann bis
dicht an das Ausfallstor weiter. Er ergreift eine Kette der
Zugbrücke und klimmt an der Verbindungsmauer zwi-
schen den Bastionen hinauf. Jetzt wurde ich mir wieder et-
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was klarer. Noch ist es Zeit, den Wahnwitzigen aufzuhalten,
um nicht zu sagen, den Gotteslästerer! Zum letzten Mal be-
fehle ich ihm,
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