Das Karpatenschloß
ersteigen wollten.«
»Es sind also zwei Touristen?«
»So sahen sie aus, Meister Koltz.«
»Und obwohl sie diese Nacht über den Rücken des Vul-
can gekommen sind, haben sie doch von der Burg nichts
gesehen?«
»Nein, denn zu der Zeit befanden sie sich noch jenseits
der Grenze«, erwiderte Frik.
»Du bringst also keine Nachricht über Nic Deck?«
»Nicht die geringste.«
»O mein Gott!« schluchzte die arme Miriota.
Ȇbrigens werdet Ihr diese Reisenden in wenigen Tagen
selbst fragen können«, fügte Frik hinzu, »denn sie wollen
vor ihrer Rückkehr nach Kolosvar in Werst haltmachen.«
»Vorausgesetzt, daß man ihnen von meinem Gasthof
nichts Schlechtes zuflüstert!« dachte der untröstliche Jonas.
»Sie wären wohl imstande, dann auf Wohnung bei mir zu
verzichten.«
Seit 36 Stunden schon war der vortreffliche Gastwirt
von der Furcht besessen, daß kein Reisender jemals wieder
im ›König Mathias‹ zu speisen oder zu übernachten wagen
würde.
Alle zwischen dem Schäfer und seinem Herrn gewech-
selten Fragen und Antworten hatten die Sachlage nicht im
geringsten weiter geklärt, und da weder der junge Förster
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noch Doktor Patak bis 8 Uhr morgens zurückgekehrt war,
konnte man wohl schon der Befürchtung Raum geben, daß
sie niemals wiederkommen würden. Niemand nähert sich
eben ungestraft dem alten Karpatenschloß.
Gebrochen von der Aufregung dieser schlaflosen Nacht,
hatte Miriota nicht mehr die Kraft sich auf den Beinen zu
halten. Nur schwankend vermochte sie sich langsam hin-
zuschleppen. Mit herzzerreißender Stimme rief sie nach
ihrem Nic. Sie wollte fort, ihn zu suchen. Der Auftritt war
schmerzlich mit anzusehen und legte die Befürchtung nah,
daß das junge Mädchen ernstlich erkranken könnte.
Jetzt war es jedoch ebenso notwendig wie dringend, zu
einem Entschluß zu kommen. Irgendwer mußte dem Förs-
ter und dem Doktor ohne Verzögerung zu Hilfe eilen. Nun
konnte es kaum darauf ankommen, Gefahren zu trotzen,
sich der Rache menschlicher oder anderer Wesen, die in der
Burg hausen mochten, auszusetzen. Die Hauptsache war,
zu erkunden, was aus Nic Deck und dem Doktor geworden
war. Diese Pflicht drängte sich deren Freunden ebenso ge-
bieterisch auf, wie den ihnen ferner stehenden Dorfbewoh-
nern. Die Mutigsten konnten sich ja wohl nicht weigern, in
die Waldmasse des Plesa einzudringen, um selbst bis zum
Karpatenschloß emporzuklimmen.
Nach weiterem nutzlosen Hin- und Herreden entpupp-
ten sich drei als die Mutigsten: Meister Koltz, der Schäfer
Frik und der Gastwirt Jonas – der würdige Schulmeister
Magister Hermod empfand dagegen plötzlich ganz außer-
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ordentliche Gichtschmerzen am Bein und hatte dieses in
der Schulstube über zwei Stühle ausstrecken müssen.
Gegen 9 Uhr machten sich Meister Koltz und seine Be-
gleiter – vorsichtigerweise wohlbewaffnet – auf den Weg
zum Vulcan – an derselben Stelle der Straße, wo Nic Deck
sie verlassen hatte, wichen auch sie davon ab, um in das
dichte Gehölz einzudringen.
Sie sagten sich nicht ohne Berechtigung, daß der junge
Mann und der Doktor, wenn sie auf der Heimkehr zum
Dorf wären, denselben Weg wählen würden, den sie auf
dem Hinweg über den Plesa eingeschlagen hatten. Ihre Spu-
ren mußten sich ja leicht genug wiederfinden lassen, und
das traf auch zu, als alle drei kaum hinter dem Saum des
Walds verschwunden waren.
Wir lassen sie nun dahinziehen, um zu berichten, welcher
Wechsel der Ansichten in Werst Platz griff, sobald man jene
aus dem Gesicht verloren hatte. Wenn es erst ganz selbstver-
ständlich erschienen war, daß sich mehrere Leute freiwillig
entschlossen, Nic Deck und Patak entgegenzugehen, so fand
man darin jetzt eine Unklugheit sondergleichen, nachdem
jene aufgebrochen waren. Was würde das Ende vom Lied
sein? Dem ersten Unglück konnte sich nur noch ein zwei-
tes anreihen. Daß der Förster und der Doktor die Opfer ih-
res Unterfangens geworden wären, daran zweifelte niemand
mehr, was konnte es also nützen, daß Koltz, Frik und Jonas
auch noch ihrer Hilfswilligkeit für jene zum Opfer fielen?
Es würde eine geraume Zeit vergehen, während der das
junge Mädchen ihren Vater ebenso beweinte, wie sie ih-
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ren Verlobten beweinen, die Freunde des Schäfers und des
Gastwirts deren Verlust betrauern würden.
Die Verzweiflung in Werst wurde schon allgemein, und
es sah nicht so aus, als ob sie bald verschwinden
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