Das Karpatenschloß
—
»Sind Sie sich dessen gewiß?«
»So lebend, wie nur einer sein kann, Herr Wirt; wir wer-
den aber bald vor Hunger umkommen, wenn Sie so grau-
sam sind, uns noch länger hier draußen stehen zu lassen.«
Jonas entschloß sich, den Riegel zurückzuschieben, und
zwei Männer traten über die Schwelle in die Gaststube.
Kaum waren sie darin, als sie schon für jeden von bei-
den ein Zimmer verlangten, da sie in Werst 24 Stunden Rast
machen wollten.
Beim Schein seiner Lampe betrachtete Jonas die neuen
Ankömmlinge mit größter Aufmerksamkeit und kam so zu
der Überzeugung, daß es wirklich menschliche Wesen wa-
ren, mit denen er es zu tun hatte. Ein großes Glück für den
›König Mathias‹.
Der Jüngere der Reisenden schien gegen 33 Jahre alt zu
sein. Von hohem Wuchs, vornehmem hübschen Gesicht,
schwarzen Augen, dunkelbraunem Haar, mit sorgfältig ge-
pflegtem Bart und etwas traurigen, aber stolzen Zügen,
machte er den Eindruck eines Landedelmannes, worüber
ein so scharfsichtiger Gastwirt wie Jonas gar nicht im un-
klaren bleiben konnte.
Als letzterer noch gefragt, unter welchem Namen er die
beiden Reisenden ins Fremdenbuch einzutragen habe, er-
klärte der Jüngere: »Der Graf Franz von Telek und sein Sol-
dat Rotzko.«
»Woher, wenn ich bitten darf ?«
»Aus Krajowa.«
Krajowa mit seinen 25.000 Einwohnern ist eine der be-
— 146 —
— 147 —
deutendsten Städte Rumäniens, das im südlichen Teil der
Karpaten mit Siebenbürgen zusammenstößt. Franz von Te-
lek war also rumänischer Abstammung – was Jonas übri-
gens auf den ersten Blick erkannt hatte.
Der zweite, Rotzko mit Namen, ein großer, breitschultri-
ger Mann von etwa 40 Jahren, mit buschigem Schnurrbart,
dickem Haupthaar und wettergebräunter Haut, zeigte eine
ausgesprochen militärische Haltung. Er trug sogar einen
mittels Gurtband über die Schulter gehängten Tornister
und daneben eine leichte Reisetasche in der Hand.
Das bildete das ganze Gepäck des jungen Grafen, der als
Tourist meist zu Fuß reiste. Man sah das an seiner Beklei-
dung, dem zusammengerollten Mantel, der leichten, aber
regensicheren Mütze, dem um die Lenden von einem Gür-
tel zusammengeschnürten Rock, an dem das walachische
Messer in seiner Lederscheide hing, und an den Gama-
schen, die sich dicht an die bequemen, dicksohligen Schuhe
anschlossen.
Diese beiden Reisenden waren keine anderen als die, de-
nen Frik vor etwa 10 Tagen begegnet war, als sie sich über
die Bergstraße auf dem Weg nach dem Retyezat waren.
Nachdem sie die Gegend bis zum Maros hin durchstreift
und auch den genannten Berg erstiegen hatten, wollten sie
sich jetzt im Dorf Werst ein wenig ausruhen und dann zum
Tal der beiden Sil weiterzuziehen.
»Sie können uns doch ein paar Zimmer überlassen?«
fragte Franz von Telek.
— 148 —
»Zwei – drei – vier, so viele es dem Herrn Grafen be-
liebt«, erklärte Jonas.
»Zwei sind schon genug«, sagte Rotzko, »nur müssen sie
unmittelbar nebeneinander liegen.«
»Würden Ihnen diese hier passen?« fragte Jonas, wäh-
rend er zwei Türen an der einen Längsseite der Gaststube
öffnete.
»Vollkommen«, antwortete Franz von Telek.
Von seinen neuen Gästen hatte Jonas also offenbar
nichts zu befürchten. Das waren keine übernatürlichen
Wesen, keine Gespenster, die Menschengestalt angenom-
men hatten, nein, der vornehme junge Mann verriet deut-
lich seine hohe Geburt, und solche Gäste sieht jeder Wirt
gern in seinem Haus einkehren. Das war ein unerwarteter
Glücksfall, der den jetzt gemiedenen ›König Mathias‹ wie-
der in Aufnahme zu bringen versprach.
»Wie weit sind wir noch von Kolosvar entfernt?« fragte
der junge Graf.
»So gegen 15 Meilen auf der kürzesten Straße über Pe-
troseny und Karlsburg«, belehrte ihn Jonas.
»Ist der Weg dahin anstrengend?«
»Für Fußgänger allerdings recht anstrengend, und –
wenn mir der Herr Graf einen wohlgemeinten Rat nicht
übel deutet – ich glaube, Sie würden gut tun, mindestens
einige Tage zu rasten.«
»Können wir etwas Abendessen erhalten«, fragte Franz
von Telek, die ehrerbietigen Ratschläge des Gastwirtes kurz
abschneidend.
— 149 —
»Nur ein halbes Stündchen Geduld, und ich werde die
Ehre haben, dem Herrn Grafen ein Abendbrot vorzusetzen,
das seiner würdig ist.«
»Etwas Brot, Wein, einige Eier und kaltes Fleisch werden
für heute abend genügen.«
»Werd’ ich mit Vergnügen
Weitere Kostenlose Bücher