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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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herunterzukommen, zurückzukehren, den
    Weg nach Werst wieder mit mir einzuschlagen. – ›Nein!‹
    Das ist die ganze Antwort, die ich von ihm bekomme. Nun
    will ich fliehen – jawohl, ihr Leute, ich gesteh’ es, ich wollte
    fliehen, und unter Euch ist keiner, der nicht genau densel-
    ben Gedanken gehabt hätte. Doch vergeblich such ich vom
    Erdboden loszukommen. Meine Füße sind angenagelt –
    festgenietet – eingewurzelt. Ich versuche mich mit Gewalt
    loszureißen: unmöglich! Ich zapple mit allen Gliedern: ver-
    gebens!«
    Doktor Patak ahmte hierbei die verzweifelten Bewegun-
    gen eines an den Beinen festgehaltenen Mannes nach, die
    etwa denen eines Fuchses glichen, der in ein Fangeisen ge-
    raten ist.
    Dann kam er auf seine Erzählung zurück: »In diesem
    Augenblick«, sagt er, »hör’ ich einen Schrei, und was für ei-
    nen! Nic Deck hatte ihn ausgestoßen. Seine die Kette um-
    klammernden Hände haben diese losgelassen, er stürzt in
    den Graben hinunter, wie von unsichtbarer Hand nieder-
    geschlagen!«
    Der Doktor berichtete ja hier die Ereignisse genau so,
    wie sie sich abgespielt hatten, und ohne daß seine Einbil-
    dungskraft, so erregt sie auch war, etwas hinzufügte. Wie er
    sie schilderte, so hatten sich die Wunderdinge, deren Schau-
    platz das Plateau des Orgall in vergangener Nacht gewesen
    war, in der Tat zugetragen.
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    Nic Deck aber erging es nach seinem Absturz wie folgt:
    Der Förster ist bewußtlos, der Doktor Patak ganz unfähig,
    ihm zu Hilfe zu kommen, denn seine Stiefel sind an die Erde
    genagelt, und die geschwollenen Füße vermag er nicht her-
    auszuziehen. Plötzlich wird die unsichtbare Macht, die ihn
    fesselt, mit einem Schlag gebrochen. Seine Beine sind wie-
    der frei, er eilt auf seinen Gefährten zu und – von seiner
    Seite schon eine wahre Heldentat – benetzt das Gesicht Nic
    Decks mit seinem Taschentuch, das er mit Wasser aus dem
    Abzugskanal befeuchtet hatte. Der Förster kommt wieder zu
    sich, sein linker Arm und ein Teil seines Körpers sind aber
    seit dem schrecklichen Schlag, der ihn getroffen hat, wie
    gelähmt. Mit Hilfe des Doktors gelingt es ihm jedoch, die
    Böschung hinaufzukriechen und zum Plateau zu gelangen.
    Dann geht es ohne Besinnen zurück, auf das Dorf zu. Nach
    einstündiger Wanderung schmerzen ihn der Arm und die
    linke Seite des Körpers dermaßen, daß er haltmachen muß.
    Endlich, gerade in dem Augenblick, wo der Doktor, um wei-
    tere Hilfe zu holen, allein nach Werst laufen will, stellen sich
    Meister Koltz, Jonas und Frik gerade noch rechtzeitig ein.
    Was dem jungen Förster widerfahren und ob er schwer
    verletzt war, darüber vermied der Doktor Patak sich zu äu-
    ßern, obwohl er sonst, wenn es sich um einen Krankheitsfall
    handelte, immer mit einem sehr bestimmt lautenden Urteil
    bei der Hand war.
    »Liegt einer an einer natürlichen Krankheit danieder«,
    begnügte er sich in sehr lehrhaftem Ton zu sagen, »so ist
    das schon ernst genug. Handelt es sich aber gar um eine
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    übernatürliche Krankheit, die der Chort Euch in die Glie-
    der schickt, so kann diese auch nur der Chort wieder ver-
    treiben.«
    Bei jedem Mangel einer Diagnose erschien die Prognose
    bezüglich Nic Decks wenig beruhigend. Zum Glück waren
    des Doktors Worte kein Evangelium, und wieviele Ärzte seit
    Hippokrates und Galen haben sich getäuscht und täuschen
    sich noch täglich, obwohl sie Doktor Patak im Wissen und
    Können weit über sind. Der junge Förster war ein von Natur
    gesunder Bursche, bei seiner kräftigen Konstitution konnte
    man wohl erwarten, daß er sich – auch ohne Teufelshilfe –
    wieder aus der Schlinge zog – allerdings nur unter der Vor-
    aussetzung, daß er die Vorschriften des alten Krankenpfle-
    gers von der Quarantäne nicht gar zu genau befolgte.
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    Solche Vorkommnisse waren natürlich nicht geeignet, die
    Bewohner von Werst zu beruhigen. Jetzt stand es außer
    Zweifel – es waren keine leeren Drohungen gewesen, die
    der »Mund des Schattens«, wie der Dichter sich ausdrücken
    würde, den Gästen im ›König Mathias‹ zu hören gegeben
    hatte. In unerklärlicher Weise verletzt, war Nic Deck für sei-
    nen Ungehorsam und seine Verwegenheit bestraft worden.
    War das nicht eine ernste Mahnung an alle, denen es etwa
    einfallen sollte, seinem Beispiel zu folgen? Das beklagens-
    werte Unternehmen bewies klar und deutlich, daß es streng
    verboten war, in das Karpatenschloß einzudringen. Wer das
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    je wieder

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