Das Karpatenschloß
da sie das nicht
konnte, wollte sie wenigstens an dieser Stelle die ganze
Nacht hindurch auf ihn warten. Ihr Vater nötigte sie je-
doch, endlich mit nach Hause zu gehen, und während er
den Schäfer zur Beobachtung zurückließ, erreichten beide
wieder schweigend einherziehend ihre Wohnung.
Sobald sie in ihrer Kammer allein war, ließ Miriota ih-
ren Tränen freien Lauf. Sie liebte ihn ja von ganzer Seele,
den wackeren Nic, und war ihm nur um so zärtlicher zuge-
tan, weil sich der Förster ihre Liebe nicht unter den gewöhn-
lichen Verhältnissen erworben hatte, unter denen die meis-
ten Ehen hier in den transsilvanischen Provinzen in so
wunderlicher Art und Weise zustande kommen.
Jedes Jahr am Johannistag wird hier nämlich eine soge-
nannte »Brautmesse« abgehalten. An dem genannten Tag
strömen aus dem Komitat alle jungen Mädchen zusammen.
Sie kommen dann auf den besten, mit den schönsten Pfer-
den geschmückten Wagen, auf den sie ihre Aussteuer un-
terbringen, nämlich eigenhändig gesponnene, genähte und
gestickte Kleider in großen Truhen von leuchtender Farbe.
Die Familien, Freundinnen und Nachbarinnen geben ih-
nen dabei das Geleit. Ebenso finden sich die heiratsfähigen
jungen Burschen ein, die seidene Schärpen um die Taille zu
tragen pflegen. Auf dem Markt umherstolzierend, wählen
sie sich das Mädchen, das ihnen gefällt; dann übergeben sie
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diesem einen Ring und ein Taschentuch als Verlobungsge-
schenk – und bald nach diesem Fest wird dann die Hochzeit
ausgerichtet.
Auf einem solchen Markt war es also nicht gewesen, wo
Nicolas Deck seine Miriota zuerst getroffen hatte; ihre Ver-
bindung beruhte nicht auf einem Zufall. Beide kannten sich
schon von Kindheit an und liebten sich schon seit der Zeit,
wo man eben zu lieben anfängt. Der junge Förster war nie-
mals zu einer solchen Brautmesse gegangen, um sich die zu
küren, die einmal seine Braut werden sollte, und Miriota war
ihm dafür herzlich dankbar. Ach, warum war Nic Deck aber
ein so entschlossener, so zäher, um nicht zu sagen, starrsin-
niger Charakter, ein so unbedachtes Versprechen zu halten?
Er liebte sie, liebte sie trotz alledem, und dennoch hatte sie
nicht Macht genug gehabt, ihn von dem Weg zu dem ver-
zauberten Schloß abzuhalten!
Welch schreckliche Nacht durchweinte Miriota in ihrer
Seelenangst! Sie hatte sich gar nicht hinlegen wollen. Ge-
gen das Fenster gelehnt und den Blick zu der aufsteigenden
Landstraße gerichtet, glaubte sie da eine Stimme zu verneh-
men, die ihr zumurmelte: »Nicolas Deck hat Deine War-
nung nicht beachtet! Miriota hat keinen Verlobten mehr!«
Doch das war nur eine Sinnestäuschung; keine Stimme
unterbrach die nächtliche Stille. Das unerklärliche Vor-
kommnis in der Gaststube des ›König Mathias‹ wiederholte
sich nicht im Haus von Meister Koltz.
Am folgenden Tag war die Bewohnerschaft von Werst
schon mit dem Morgenrot draußen. Von der Terrasse bis
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zur Straßenbiegung am Berg sah man die einen auf der
Straße hinauf-, die anderen hinabwandeln – jene, um Neu-
igkeiten zu erfahren, diese, um sie zu verbreiten. Man sagte,
der Schäfer Frik sei bis auf eine gute Meile vom Dorf weit
hinausgegangen, zwar nicht durch den Wald des Plesa, son-
dern an dessen Saum entlang, und daß er dazu seinen be-
sonderen Grund haben müsse.
Ihn mußte man jedenfalls abwarten, und um schneller
etwas zu erfahren, hatten sich Meister Koltz, Miriota und
Jonas bis zum letzten Ende des Dorfs hinausbegeben.
Nach Verlauf einer halben Stunde wurde Frik einige
hundert Schritte die Straße aufwärts zuerst bemerkt.
Da er sich keineswegs beeilte, hielt man das für eine
schlechte Vorbedeutung.
»Nun, Frik, was weißt du? Was hast du wahrgenom-
men?« fragte ihn Meister Koltz, als er zu diesem herange-
kommen war.
»Ich habe nichts gesehen und nichts erfahren«, antwor-
tete Frik.
»Nichts!« murmelte das junge Mädchen, deren Augen
sich mit Tränen füllten.
»Bei Tagesanbruch«, fuhr der Schäfer fort, »bemerkte ich
eine Meile von hier zwei Männer. Erst hielt ich sie für Nic
Deck und den Doktor, doch – sie waren es nicht.«
»Weißt du denn, wer sie waren?«
»Zwei fremde Reisende, die direkt von der walachischen
Grenze herkamen.«
»Du hast also mit ihnen gesprochen?«
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»Ja.«
»Und sie kommen zum Dorf herunter?«
»Nein, sie zogen zunächst in Richtung Retyezat weiter,
da sie dessen Gipfel
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