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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dessen
    Rosengebüsch sie durchbrochen hatten.
    Werst lag nur wenige Flintenschuß weit von hier ent-
    fernt, und zwar jenseits eines dichten, halbhohen Weiden-
    gebüschs mit natürlich entwickelten Bäumen, nicht solchen
    verkrüppelten Kopfweiden, deren Zweigruten nur wenige
    Fuß über der Wurzel ausstrahlen. Dieses Weidengebüsch
    erstreckte sich bis zu den Abhängen des Vulcan, auf dem
    das gleichnamige Dorf den Vorberg eines nach Süden ver-
    laufenden Zweigs des Plesagebirges einnimmt.
    Die Landschaft war jetzt menschenleer. Die Feldarbei-
    ter kehrten erst mit einbrechender Dunkelheit an den häus-
    lichen Herd zurück, und Frik hätte jetzt wohl kaum Gele-
    genheit gefunden, den althergebrachten ›Guten Tag!‹ mit
    ihm begegnenden Leuten zu wechseln. Nachdem seine Tiere
    sich gesättigt hatten, wollte er eben in einen verschlungenen
    Talweg einbiegen, als ihm, etwa 50 Schritte stromabwärts
    der Sil, ein dort auftauchender Mann in die Augen fiel.
    »He! Guter Freund!« rief dieser dem Hirten zu.
    — 14 —
    Es war einer jener fremden Händler, die alle Märkte des
    Komitats besuchen und die man dazwischen in Städten,
    Flecken und selbst in den geringsten Dörfern antrifft. Sich
    den Leuten verständlich zu machen, ist ihnen eine Kleinig-
    keit, sie sprechen eben alle Mundarten. Niemand hätte sa-
    gen können, ob der hier Erschienene ein Italiener, Sachse
    oder Walache war; man erkannte aber leicht, daß er Jude,
    polnischer Jude war, an seiner langen hageren Gestalt, der
    gebogenen Nase, dem spitz auslaufenden Vollbart, wie an
    der vorspringenden Stirn und den lebhaften Augen darun-
    ter.Dieser Hausierer handelte mit Brillen, kleinen optischen
    Instrumenten, Thermometern, Barometern, geringwertigen
    Wanduhren und dergleichen. Was nicht in seinem, an star-
    ken Achselgurten hängenden Warenkasten untergebracht
    war, das hing ihm am Hals und am Gürtel – ein richtiger
    wandelnder Kramladen.
    Wahrscheinlich hegte auch dieser Jude die Achtung, viel-
    leicht die stille Scheu, die nun einmal alle Schäfer anderen
    Leuten einflößen. So begrüßte er denn Frik zunächst mit ei-
    ner Handbewegung. Dann begann er in rumänischer Spra-
    che, diesem Gemenge aus Latein und Slawisch, mit fremdem
    Tonfall: »Es geht Euch doch nach Wunsch, guter Freund?«
    »Jawohl ... je nach Witterung«, antwortete Frik.
    »Dann geht’s Euch heute also gut, denn es ist schönes
    Wetter.«
    »Und morgen desto schlechter, denn da wird’s regnen.«
    — 15 —
    »Regnen?« rief der Händler. »Regnet’s in Eurem Land
    auch ohne Wolken?«
    »Nun, Wolken werden diese Nacht schon kommen ...
    und zwar von da draußen ... von der schlimmen Seite des
    Berges.«
    »Woran erkennt Ihr das?«
    »An der Wolle meiner Schafe, die starr und trocken wie
    gegerbte Haut ist.«
    »Das ist allerdings eine schlimme Aussicht für die, die
    draußen im Freien arbeiten.«
    »Und desto angenehmer für die, die in ihrem Haus un-
    term Dach bleiben können.«
    »Gewiß, Schäfer; doch dazu muß man auch ein Haus be-
    sitzen.«
    »Habt Ihr Kinder?« fragte Frik weiter.
    »Nein.«
    »Seid Ihr verheiratet?«
    »Nein.«
    Die Fragen stellte Frik, weil sie hier landesüblicherweise
    an jeden gerichtet werden, dem man auf der Landstraße be-
    gegnet.
    Dann fuhr er fort: »Woher kommt Ihr, Hausierer?«
    »Von Hermannstadt.«
    Hermannstadt ist eine der bedeutendsten Städte Sieben-
    bürgens. Von dort aus gelangt man in das bis nach Petro-
    seny herabreichende Tal der ungarischen Sil.
    »Und Ihr geht ...?«
    »Nach Kolosvar.«
    — 16 —
    Um nach Kolosvar (Klausenburg) zu kommen, hat man
    sich weiterhin im Tal des Maros zu halten und erreicht dann
    über Karlsburg, an den ersten Ausläufern der Bilarberge
    entlang, die Hauptstadt des Komitats. Die Wegstrecke be-
    trägt etwa 20 Meilen (150 Kilometer).
    Diese Händler mit Thermometern, Barometern und al-
    lerhand Kleinkram erscheinen immer wie Gestalten beson-
    derer – nur nicht hofmännischer – Art. Das liegt in ihrem
    Geschäft. Sie »verkaufen Zeit und Wetter«, in jeder Form,
    die Zeit, wie sie verfließt, das Wetter, wie es eben ist und
    wie es sein wird, wie andere »zweibeinige Ballentiere« mit
    Körben, Strick- und Baumwollwaren handeln. Man wäre
    versucht, sie Reisende des Hauses Saturn & Co. – mit dem
    »Goldenen Stundenglas« als Warenschutzmarke – zu nen-
    nen. Zweifelsohne machte der Handelsjude diese Wirkung
    auf den biederen Frik, der verwundert diese Menge von Ge-
    genständen

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