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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wäre.«
    »Mit den Füßen – ja, ja, Herr Graf, oder mit den Stie-
    feln! Und wenn Sie nicht gerade behaupten wollen, daß ich,
    bei dem Zustand, in dem ich mich befand, nur ... geträumt
    habe.«
    »Ich behaupte gar nichts, werter Herr«, unterbrach ihn
    Franz, »und es fällt mir gar nicht ein, erklären zu wollen,
    was Ihnen unerklärlich vorkommt. Halten Sie sich jedoch
    versichert, daß die Stiefel der Gendarmen – wenn diese
    Leute dem Karpatenschloß einen Besuch abstatten –, daß
    deren Stiefel, die an Disziplin gewöhnt sind, sich nicht am
    Erdboden festwurzeln werden, wie Ihre.«
    Nach dieser an den Doktor gerichteten Erklärung nahm
    der junge Graf noch einmal den Dank und die Huldigung
    des Wirtes vom ›König Mathias‹ entgegen, der sich »so ge-
    ehrt fühlte, die Ehre gehabt zu haben, den hochzuverehren-
    den Herrn Franz von Telek usw.« Nachdem er dann noch
    Meister Koltz, Nic Deck, dessen Braut und den auf dem
    Platz versammelten Leuten einen letzten Gruß zugewinkt,
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    gab er Rotzko ein Zeichen, und beide schritten rasch die
    Straße hinunter.
    Nach kaum einer Stunde hatten Franz und sein Begleiter
    das rechte Ufer des Flusses erreicht, an dem entlang sie bis
    zur südlichen Wand des Retyezat hinwanderten.
    Rotzko hatte darauf verzichtet, seinem Herrn gegenüber
    noch irgendeine weitere Bemerkung fallenzulassen.
    Das wäre auch vergebliche Liebesmüh’ gewesen. An mili-
    tärischen Gehorsam gewöhnt, würde er schon bei der Hand
    sein, den jungen Grafen zurückzuhalten, wenn dieser sich
    etwa in ein gefährliches Abenteuer stürzte.
    Nach zweistündiger Wanderung machten Franz und
    Rotzko halt, um ein wenig auszuruhen.
    Hier, wo sie saßen, näherte sich die leicht nach rechts ab-
    weichende walachische Sil mit scharfer Biegung der Straße.
    Auf der anderen Seite und auf der Ausbuchtung des Plesa
    dehnte sich in der Entfernung einer halben Meile das Pla-
    teau des Orgall aus. Hier mußten sie also die Sil verlassen,
    da Franz den Bergrücken überschreiten wollte, um sich in
    Richtung Schloß zu halten.
    Da sie vermieden, noch einmal durch Werst zu kommen,
    verlängerte dieser Umweg ihren Marsch etwa um das Dop-
    pelte der Entfernung, die das Schloß vom Dorf trennte.
    Immerhin mußte noch heller Tag sein, wenn Franz und
    Rotzko auf der Hochfläche des Orgall ankamen. Der junge
    Graf behielt also Zeit genug, die Burg von außen zu besich-
    tigen.
    Schlugen sie dann den Rückweg durch Werst erst nach
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    Anbruch des Abends ein, dann war zu erwarten, daß sie
    von niemandem gesehen würden. Die nächste Nacht wollte
    Franz übrigens in Livadzel, einem kleinen Flecken am Zu-
    sammenfluß der beiden Sil, zubringen, um am folgenden
    Tag nach Karlsburg weiterzuziehen.
    Eine halbe Stunde ruhten sie aus. In seiner Erinnerung
    verloren und auch tief erregt durch den Gedanken, daß
    sich der Baron von Gortz möglicherweise im Innern dieses
    Schlosses vergraben habe, sprach Franz nicht ein einziges
    Wort.
    Rotzko bedurfte aber der größten Selbstüberwindung,
    um ihm nicht zuzurufen: »Es ist unnütz, noch weiter zu ge-
    hen, Herr Graf ! Kehren wir der verdammten Burg den Rü-
    cken zu, und lassen Sie uns aufbrechen!«
    Beide schritten nun weiter den Talweg entlang hin. Zu-
    erst mußten sie dabei ein Baumdickicht durchmessen, in
    dem kein Fußpfad zu entdecken war. Da und dort zeigte der
    Erdboden schlüpfrigere Furchen, denn in dieser Regenzeit
    tritt die Sil nicht selten über die Ufer und rauscht in tollem
    Strom über das Land, das sie in einen Sumpf verwandelt.
    Dieser Umstand erschwerte natürlich das Fortkommen und
    erzeugte einigen Aufenthalt. So brauchten die Wanderer
    eine ganze Stunde, um die Straße auf dem Vulcan zu errei-
    chen, der gegen 5 Uhr überschritten wurde.
    Die rechte Seite des Plesa ist nicht mit den dicken Wal-
    dungen bedeckt, durch die Nic Deck sich nur mit der Axt
    hatte Bahn brechen können; dafür türmten sich ihnen hier
    Schwierigkeiten anderer Art entgegen. Da lagen Trümmer-
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    haufen von Moränen, die beim Durchschreiten große Vor-
    sicht erheischten, schroffe Niveauunterschiede, mächtige
    Steinwände und Blöcke mit unsicherer Unterlage, die gleich
    Steintischen der Alpengegenden aufragten – kurz, das ganze
    Durcheinander einer Anhäufung gewaltiger Felsenbruch-
    stücke, die durch Lawinen vom Berggipfel herabgeworfen
    worden waren, ein wahres Chaos im schlagendsten Sinn des
    Wortes.
    Um den Abhang unter diesen Verhältnissen

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