Das Karpatenschloß
da es dann
völlig finster ist, werden wir auf diesem Weg nicht bemerkt
werden.«
»Noch einige Minuten«, sagte Franz, »dann begeben wir
uns zum Dorf hinab.«
Der junge Graf war nicht von dem Platz gewichen, den
er von Anfang an auf dem Plateau des Orgall eingenommen
hatte.
»Vergessen Sie nicht, gnädiger Herr«, ergriff Rotzko wie-
der das Wort, »daß es in finsterer Nacht schwierig sein wird,
mitten durch das Felsengewirr zu gehen. Sind wir doch bei
hellem Tag nur mit Mühe hindurch gekommen. Sie werden
verzeihen, wenn ich dränge.«
»Ja, brechen wir auf, Rotzko. Ich folge dir.«
Es schien jedoch, als würde Franz unabänderlich vor der
Burg zurückgehalten, vielleicht durch eine jener geheimen
Ahnungen des Herzens, die niemand zu erklären vermag.
War er denn etwa auch am Boden festgewurzelt, wie es der
Doktor Patak im Wallgraben gewesen sein wollte? Nein,
seine Füße waren von jeder Fessel, von jeder Falle frei. Er
konnte auf der Hochfläche hin und her gehen und wenn er’s
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gewollt, hätte er das Schloß am Rand der äußeren Böschung
hin ungehindert umkreisen können.
Vielleicht wollte er das doch?
Das dachte wohl auch Rotzko, denn er sagte wenigstens
zum letzten Mal: »Kommen Sie nun, Herr Graf ?«
»Ja, ja«, antwortete Franz.
Dennoch blieb er unbeweglich stehen.
Schon war es dunkel auf der Hochfläche des Orgall.
Der wachsende Schatten des Bergstocks, der immer wei-
ter nach Süden vordrang, umhüllte das gesamte Bauwerk,
dessen Umrisse sich nur noch als unbestimmte Silhouette
darstellten.
Flammte jetzt nicht hinter den schmalen Fenstern des
Wartturms ein Lichtschein auf, so mußte überhaupt bald
nichts mehr erkennbar sein.
»Gnädiger Herr. Kommen Sie doch!« mahnte Rotzko.
Franz rührte sich endlich, ihm zu folgen, als hinter der
Bastionsmauer, wo die sagenhafte Buche stand, eine Gestalt
sichtbar wurde.
Franz hielt an und starrte auf die Erscheinung, deren
Umrisse allmählich deutlicher wurden.
Es war eine Frau mit aufgelöstem Haar, ausgestreckten
Armen und in ein langwallendes Gewand gehüllt.
War dieses Kostüm aber nicht dasselbe, das La Stilla in
der letzten Szene des ›Orlando‹ getragen, wo Franz sie zum
letzten Mal gesehen hatte?
Ja, das war La Stilla, die dort regungslos dastand, die
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Arme nach dem jungen Grafen ausstreckte und den durch-
dringenden Blick auf ihn gerichtet hielt.
»Sie! Sie!« rief er außer sich.
Vorwärts stürmend, wäre er gewiß bis zum Fuß der
Mauer hinuntergerollt, wenn Rotzko ihn nicht zurückge-
halten hätte.«
Da verschwand plötzlich die Erscheinung. Kaum eine
Minute lang hatte sich La Stilla ihm gezeigt.
Immerhin! Eine Sekunde hätte für Franz hingereicht, sie
zu erkennen. Da entrangen sich ihm die Worte: »Sie – sie –
und lebend!«
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War das möglich? La Stilla, die Franz von Telek niemals
wieder zu sehen glaubte, war ihm hier auf dem Boden der
Bastion erschienen! Es war keine Augentäuschung gewesen,
denn Rotzko hatte sie ja gesehen, wie er selbst. Das war sie,
die große Künstlerin, bekleidet mit dem Kostüm der An-
gelica, in dem sie sich dem Publikum in der Abschiedsvor-
stellung des San Carlo-Theaters in Neapel zum letzten Mal
gezeigt hatte!
Vor den Augen des jungen Grafen leuchtete die furcht-
bare Wahrheit auf. Diese angebetete Frau, die die Gräfin
Telek hatte werden sollen, wurde seit 5 Jahren hier in den
transsilvanischen Bergen eingekerkert gehalten! Die, die
Franz auf der Bühne tot niederfallen sah, lebte also doch
noch! Während man ihn selbst halb tot zu dem Hotel zu-
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rückgebracht, hatte der Baron Rudolph zu ihr zu dringen,
sie aufzuheben und mit sich nach seinem Karpatenschloß
zu entführen vermocht, und nur einem leeren Sarg war
am nächsten Tag die Volksmenge nach dem Campo Santo
Nuovo gefolgt!
All das erschien ja unglaublich, unannehmbar und wi-
derstritt am Ende dem gesunden menschlichen Verstand.
Das grenzte an ein Wunder, war allzu unwahrscheinlich,
und Franz hätte sich das immer und immer wieder sagen
sollen. Ja sicher! Doch eine Tatsache blieb immer bestehen:
La Stilla war von dem Baron von Gortz entführt worden, da
sie jetzt hier in der Burg war! Sie lebte auch, er hatte sie ja
über der Mauer erblickt! Das schien unumstößlich sicher.
Nichts destoweniger suchte der junge Graf seine verwirr-
ten Gedanken wieder zu ordnen, die sich übrigens zuletzt
auf den einen zuspitzten: Rudolph
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