Das Karpatenschloß
zu erklim-
men, kostete es noch eine gute Stunde tüchtiger Anstren-
gung. Es schien wirklich, als hätte sich das Karpatenschloß
schon durch die Unwegsamkeit seiner Umgebung allein
verteidigen können. Rotzko hoffte auch, vielleicht noch auf
solche Hindernisse zu treffen, die sie unmöglich überwälti-
gen könnten. Doch das erfüllte sich nicht.
Jenseits der Zone der Felsblöcke und Erdaushöhlungen
wurde endlich der vordere Rand der Hochfläche des Orgall
ereicht. Von hier aus zeigten sich die Formen des Schlosses
ganz klar in der öden Umgebung, von der die Angst alle Be-
wohner des Landstrichs schon seit Jahren fernhielt.
Franz und Rotzko wollten von der nach Norden zu ge-
richteten Steinmauer der Burg an sie herankommen.
Waren Doktor Patak und Nic Deck an die östliche Ver-
bindungsmauer der Bastionen gekommen, so kam das da-
her, daß sie die linke Seite des Plesa erklommen, den Nyad,
einen anderen Bergbach und die auf den Bergrücken hin-
führende Straße links hatten liegen lassen. Die beiden Wege
bildeten zusammen nämlich einen weit offenen Winkel,
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dessen Scheitelpunkt der Wartturm in der Mitte war. Von
der Nordseite her wäre es übrigens ganz unmöglich gewe-
sen, die Umfassungsmauer zu ersteigen, und hier gab es
auch weder ein Tor noch eine Zugbrücke, die Verbindungs-
mauer erhob sich nur, den Unebenheiten der Bodenfläche
folgend, steil zu großer Höhe.
Nun lag ja auch gar nichts daran, daß von hier aus jeder
Zutritt unmöglich gemacht war, denn der junge Graf dachte
ja nicht im geringsten daran, durch die Mauer der Burg vor-
zudringen.
Es war bereits halb 8, als Franz von Telek und Rotzko am
äußeren Rand des Plateaus des Orgall anlangten. Vor ihnen
erhob sich nun im Halbdunkel das trotzige Gemäuer, dessen
Farbe mit der der Felsen der Plesa ziemlich verschwamm.
Links machte die Umfassungsmauer einen scharfen Win-
kel, an dem eine Bastion vorsprang. Hier ragte über die mit
Zinnen gekrönte Brustwehr hinaus die alte Buche, deren
verdrehte Äste von der Gewalt des Südweststurms in dieser
Höhe zeugten.
Der Schäfer Frik hatte sich wirklich nicht getäuscht.
Wenn man der Legende Glauben schenkte, so versprach
diese der alten Burg der Barone von Gortz nur noch einen
Bestand von 3 Jahren.
Schweigend betrachtete Franz das Gesamtbild des von
einem mächtigen Wartturm in der Mitte beherrschten Bau-
werks. Hier unter diesem regellosen Steinhaufen verbar-
gen sich sicher gewölbte, weite, jeden Laut wiedergebende
Räume, Vorsäle, die Irrgänge bildeten, tief im Erdboden
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versenkte Verließe, wie sie in den alten Schlössern der Mag-
yaren häufig anzutreffen sind. Keine andere Wohnstätte als
dieser alte Rittersitz konnte dem letzten Sproß des Hauses
von Gortz geeigneter erscheinen, sich in einer Vergessen-
heit zu begraben, deren Geheimnisse niemand zu enträtseln
vermochte. Je mehr der junge Graf darüber nachdachte,
desto mehr klammerte er sich an die Vorstellung, daß Ru-
dolph von Gortz sich hinter die einsamen Wälle seines Kar-
patenschlosses geflüchtet habe.
Nichts verriet übrigens die Anwesenheit von Bewohnern
im Innern des Wartturms. Kein Rauchwölkchen entstieg sei-
nen Schornsteinen, kein Laut drang aus den fest geschlosse-
nen Fenstern. Nichts – nicht einmal der Schrei eines Vogels
unterbrach die Totenstille dieser düsteren Wohnung.
Eine Zeitlang verschlang Franz mit fast gierigen Blicken
diesen Mauerkranz, der einst von rauschenden Festen und
Waffengeklirr widerhallte. Er schwieg aber, denn seine Ge-
danken bedrückten ihn allzu sehr, und wie ein Alp lag die
Erinnerung auf seinem Herzen.
Rotzko, der seinen Herrn sich selbst zu überlassen
wünschte, hatte sich etwas zur Seite begeben; er würde es
nicht gewagt haben, den Grafen durch die kürzeste Bemer-
kung zu stören. Als die Sonne aber hinter der Bergmasse
des Plesa versank, und der Schatten in das Tal der beiden Sil
einzog, da zögerte er nicht länger.
»Herr Graf«, begann er, »es ist bereits Abend geworden.
Es wird bald 8 Uhr sein.«
Franz schien ihn gar nicht zu hören.
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»Es ist Zeit aufzubrechen«, fuhr Rotzko fort, »wenn wir
nach Livadzel kommen wollen, ehe man dort die Gasthöfe
schließt.«
»Noch einen Augenblick, Rotzko. Ja, in einem Augen-
blick bin ich bereit«, antwortete Franz.
»Wir brauchen eine gute Stunde, gnädiger Herr, ehe wir
die Straße auf dem Berg wieder erreichen, und
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