Das Karpatenschloß
ist doch nicht anzunehmen, Herr Graf, daß
der Baron Rudolph ins Land zurückgekehrt ist, um sich im
Innern der Burg zu verbergen?«
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»Nein, das scheint nicht annehmbar, Nic Deck.«
»Welchen Grund könnte er auch haben, sich zu verste-
cken und niemand bei sich sehen zu wollen?«
»Oh, gar keinen«, antwortete Franz von Telek.
Und doch nahm auch jetzt ein unerwarteter Gedanke
im Geist des jungen Grafen festere Gestalt an. War es denn
unmöglich, daß dieser Sonderling, dessen Leben schon im-
mer so rätselhaft gewesen war, sich nach seinem Fortgang
aus Neapel in die Burg zurückgezogen hätte? Hier mußte es
ihm, dank des geschickt unterhaltenen einmal herrschenden
Aberglaubens der Leute in der Umgebung leicht sein, sich,
wenn er ganz einsam leben wollte, gegen jede unbequeme
Heimsuchung zu verteidigen, da ihm doch der geistige Zu-
stand seiner Nachbarschaft unzweifelhaft bekannt war.
Franz hielt es für nutzlos, die Bewohner von Werst auf
diese Spur zu führen. Er hätte sich da über Vorkommnisse
verbreiten müssen, die allzu persönlicher Natur waren. Üb-
rigens hätte er doch niemand überzeugt, das erkannte er so-
fort, als Nic Deck hinzufügte: »Wenn sich der Baron Ru-
dolph im Schloß befindet, muß man glauben, daß der Baron
Rudolph selbst der Chort ist, denn nur der Chort hätte mich
in dieser Weise treffen können!«
Da er auf dieses Thema nicht wieder kommen wollte,
wechselte Franz den Lauf des Gesprächs. Nachdem er alle
Mittel erschöpft, um den Förster über die Folgen seines
Versuchs zu beruhigen, empfahl er ihm doch, einen solchen
nicht zu wiederholen. Das wäre nicht seine Sache, sondern
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die der Behörden, und die Polizei von Karlsburg würde das
Geheimnis schon zu enthüllen verstehen.
Dann verabschiedete sich der Graf von Nic Deck, dem er
ganz besonders ans Herz legte, alles für seine Wiedergene-
sung zu tun, um die Hochzeit mit der hübschen Miriota, die
er ja mitzufeiern gedachte, nicht etwa zu verzögern.
In Gedanken versunken, kehrte Franz nach dem ›König
Mathias‹ zurück, den er an diesem Tag nicht wieder ver-
ließ.Um 6 Uhr brachte ihm Jonas in der Gaststube das
Abendessen, und einer lobenswerten Zurückhaltung nach-
gebend, störte ihn hier weder Meister Koltz, noch sonst je-
mand aus dem Dorf.
Gegen 8 Uhr sagte Rotzko zu seinem jungen Gebieter:
»Sie brauchen mich jetzt nicht mehr, Herr Graf ?«
»Nein, Rotzko.«
»Dann werde ich auf der Terrasse meine Pfeife rau-
chen.«
»Geh Rotzko, geh.«
Halb in einem Lehnstuhl liegend, ließ Franz die ihm
unvergeßliche Vergangenheit noch einmal vor seinem In-
nern vorüberziehen. Er befand sich in Neapel während der
letzten Vorstellung im San Carlo-Theater. Er sah den Ba-
ron von Gortz wieder in dem Augenblick, wo dieser ihm
erschien, wo er den Kopf aus der Loge vorbeugte, sein Blick
sich brennend auf die Künstlerin richtete, als wollte er sie
bezaubern.
Dann wandte sich der Gedanke des jungen Grafen dem
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von jenem Sonderling unterzeichneten Brief zu, in dem er,
Franz von Telek, beschuldigt wurde, La Stilla getötet zu ha-
ben.Während er sich so in seine Erinnerung versenkte, fühlte
Franz von Telek, wie der Schlaf ihn langsam übermannte.
Noch befand er sich in jenem gemischten Zustand, wo man
das geringste Geräusch wahrzunehmen vermag, als ein
wunderbares Ereignis eintrat.
Es scheint, als ob eine sanfte schmeichelnde Stimme
durch den Raum ertönte, in dem sich Franz allein, gewiß
ganz allein befand.
Ohne sich zu fragen, ob er wache oder träume, erhebt
sich Franz von Telek und lauscht.
Ja! Da erschien es, als ob sich ein Mund seinem Ohr ge-
nähert hätte, und als ob unsichtbare Lippen das ergreifende
Lied Stefanos, und zwar die Worte sängen:
Nel giardino de ’mille fiori,
Andiamo, mio cuore ...
Diese Romanze – Franz erkannte sie, diese süße, sich ein-
schmeichelnde und doch so tief rührende Romanze – hatte
La Stilla in dem letzten Konzert gesungen, daß sie vor ihrer
Abschiedsvorstellung veranstaltete.
Wie eingewiegt und ohne sich über etwas Rechenschaft
zu geben, überließ sich Franz der Wollust, diese Stimme
noch einmal zu hören. Dann geht der Vers zu Ende, und
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die allmählich leiser werdende Stimme verhallt in leichten
Schwingungen der Luft.
Doch Franz hat seine Erstarrung abgeschüttelt, er ist
hastig aufgesprungen, hält den Atem an und sucht ein ent-
ferntes Echo dieser Stimme,
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