Das Karpatenschloß
von Gortz seine Stilla,
die seit 5 Jahren im Karpatenschloß gefangen saß, wieder
zu entreißen!
»Rotzko«, begann Franz mit keuchender Stimme, »hör
mich an! – Vor allem versteh mich richtig, denn mir scheint,
ich könnte den Verstand verlieren.«
»Herr Graf, mein lieber, gnädiger Herr!«
»Um jeden Preis muß ich zu ihr, zu ihr vordringen! Und
das noch heute abend.«
»Nein, lieber morgen ...«
»Heut’ abend, sag ich dir! Sie ist hier, hat mich gesehen
wie ich sie. Sie erwartet mich.« .
»Nun gut, ich werde Ihnen folgen.«
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»Nein! Ich gehe allein.«
»Allein?«
»Ja.«
»Wie werden Sie aber in die Burg dringen können, wo es
nicht einmal Nic Deck gelungen ist?«
»Ich komme hinein, sag ich dir.«
»Das einzige Tor ist geschlossen.«
»Für mich wird’s das nicht sein. Ich werde eine Bresche
suchen, werde sie finden. Ich komme hinein.«
»Sie wollen also nicht, daß ich Sie begleite, Gnädiger
Herr. Sie wollen das wirklich nicht?«
»Nein, wir werden uns trennen, und nur wenn wir das
tun, wirst du mir nützen können.«
»Ich soll Sie also hier erwarten?«
»Nein, Rotzko.«
»Wohin soll ich denn gehen?«
»Nach Werst. Doch nein, nicht nach Werst«, antwortete
Franz. »Die Leute da brauchen nichts zu erfahren. Geh in
das Dorf Vulcan, wo du die Nacht bleiben magst. Siehst du
mich morgen nicht wieder, verläßt du Vulcan noch am Vor-
mittag. Das heißt, nein, warte einige Stunden länger. Dann
begib dich nach Karlsburg. Dort wirst du dem Polizeidirek-
tor Bericht erstatten. Du erzählst ihm alles. Endlich komm
mit Hilfsmannschaften hierher zurück. Wenn’s sein muß,
mag die Burg gestürmt werden. – Oh, befreie sie! Allmäch-
tiger Gott – sie – und lebend – in der Gewalt Rudolphs von
Gortz!«
Während der junge Graf die mehrmals unterbrochenen
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Worte hervorstieß, bemerkte Rotzko, wie die Überreizung
seines Herrn zunahm und sich in den ungeordneten Emp-
findungen eines Mannes Bahn brach, der seiner nicht mehr
Herr ist.
»Geh! Rotzko!« rief er zum letztenmal.
»Sie wollen es?«
»Ich befehle es dir!«
Diesem Zwang gegenüber hatte Rotzko nur noch zu ge-
horchen. Übrigens war Franz schon weitergegangen und die
Dunkelheit entzog ihn den Blicken des treuen Dieners.
Einige Minuten verweilte Rotzko, der sich nicht zum
Fortgehen entschließen konnte, noch an derselben Stelle.
Dann kam ihm der Gedanke, daß alle Bemühungen seines
Herrn doch unnütz sein würden, da er nicht über oder durch
die Mauer könne, daß er nach dem Dorf Vulcan werde um-
kehren müssen. Vielleicht morgen ... vielleicht noch heute
nacht; dann würden sie beide nach Karlsburg gehen, und
was weder Franz noch der Förster auszuführen vermoch-
ten, das würde er mit der Polizeimannschaft erzwingen. Er
würde sich Rudolphs von Gortz bemächtigen, ihm die un-
glückliche Stilla entreißen. Man würde das ganze Karpaten-
schloß durchsuchen, nicht einen Stein, wenn’s sein mußte,
übersehen, und wenn alle Teufel der Hölle darin hausten,
die Burg zu verteidigen.
Rotzko stieg nun wieder den Abhang von der Hochflä-
che des Orgall hinab, um den Weg über den Rücken des
Vulcan einzuschlagen.
Franz hatte inzwischen, indem er dem Rand der Außen-
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böschung folgte, schon die Winkelbastion, die die rechte
Seite des Schlosses deckte, umgangen.
Tausend Gedanken kreuzten sich in seinem Hirn. Jetzt
hegte er keinen Zweifel mehr bezüglich der Anwesenheit
des Baron Rudolph von Gortz in der Burg, da La Stilla ja
hier eingeschlossen war. Nur er konnte darin sein. La Stilla
am Leben! Wie würde Franz aber zu ihr gelangen, wie sie
aus dem Schloß entführen können?
Er wußte es nicht, und doch mußte es sein – und es
würde geschehen. Die Hindernisse, die Nic Deck nicht zu
besiegen vermochte, er würde sie überwinden. Ihn trieb ja
nicht nur die Neugier in diese Ruinen, die Leidenschaft war
es, seine Liebe zu der Frau, die er hier lebendig wiederfand,
nachdem er sie für tot gehalten, und die er Rudolph von
Gortz entreißen mußte!
Franz begriff wohl, daß er nirgends anders Zugang fin-
den werde, als durch die südliche Verbindungsmauer, in der
sich das Ausfallstor mit der Zugbrücke davor befand. Da es
ihm gar nicht in den Sinn kam, die hohen Mauern erklim-
men zu wollen, wanderte er auf dem Plateau des Orgall wei-
ter und weiter, bis er die Eckbastion hinter sich hatte.
Am Tag würde das keine besonderen
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