Das Kartengeheimnis
dann gegen keinen anderen tauschen.«
Mehr wurde über dieses Kartenspiel nicht gesagt. Obwohl es zweiundfünfzig unterschiedliche Damen enthielt, die sich alle Mühe gaben, die Schönste zu sein, wußteich, daß dem Spiel in den Augen meines Vaters eine wichtige Karte fehlte. Und zwar die, die wir in Athen suchen wollten.
PIK KÖNIG
... eine Begegnung der vierten Art...
Als wir spätnachmittags endlich Venedig erreichten, mußten wir das Auto in einem riesigen Parkhaus abstellen, ehe wir die eigentliche Stadt betreten durften, denn Venedig hat nicht eine einzige richtige Straße. Dafür gibt es in dieser Stadt hundertachtzig Kanäle, über vierhundertfünfzig Brücken und viele tausend Motorboote und Gondeln.
Vom Parkhaus aus fuhren wir mit dem Motorboot-Taxi zu unserem Hotel am Canal Grande, dem größten Kanal Venedigs. Vater hatte vom Hotel in Como aus ein Zimmer bestellt. Wir warfen unser Gepäck in das kleinste und häßlichste Hotelzimmer der ganzen Reise, dann gingen wir in die Stadt und spazierten an den Kanälen entlang und über einige der zahllosen Brücken. Wir wollten vor dem Weiterfahren zwei Nächte in Venedig verbringen. Ich wußte, die Gefahr war groß, daß Vater sich reichlich aus dem Getränkeangebot der Kanälestadt bedienen würde.
Nachdem wir auf dem Markusplatz gegessen hatten, konnte ich ihn dazu überreden, daß er eine nette kleine Gondelfahrt springen ließ. Er zeigte auf einer Karte, wohin er wollte, und der Gondoliere fuhr los. Das einzige, was nicht meinen Erwartungen entsprach, war, daß er nicht sang: keine einzige Strophe. Das machte mir aber nichts aus; ich mußte bei solchen Gondelgesängen immer schon an Katzenmiauen denken.
Unterwegs geschah etwas, worüber mein Vater und ich uns später nie einigen konnten: Als wir gerade unter einer Brücke hindurchfahren wollten, lugte über uns ein vertrautes Gesicht durchs Brückengeländer. Ich war ganz sicher, daß es sich um den Zwerg von der Tankstelle handelte, und diesmal mißfiel mir dieses unerwartete Wiedersehen sehr. Mir ging auf, daß wir regelrecht verfolgt wurden.
»Der Zwerg!« rief ich, sprang auf und zeigte zu ihm hoch.
Heute verstehe ich durchaus, daß Vater wütend wurde, schließlich hätte ich um ein Haar die ganze Gondel umgekippt.
»Setz dich sofort hin!« befahl er. Aber als die Brücke hinter uns lag, drehte er sich trotzdem um und blickte nach oben. Das Problem war nur, daß der Zwerg inzwischen spurlos verschwunden war – genau wie auf dem Jahrmarkt.
»Ich habe ihn erkannt«, sagte ich und heulte los. Auch ich hatte jetzt Angst, die Gondel könnte kentern. Und ich war sicher, daß Vater mir nicht glaubte.
»Das bildest du dir nur ein, Hans-Thomas«, sagte er.
»Aber da war wirklich ein Zwerg!« beharrte ich.
»Schon möglich, aber es war nicht derselbe«, widersprach Vater – obwohl er den Zwerg doch gar nicht gesehen hatte.
»Meinst du vielleicht, ganz Europa wimmelt von Zwergen?«
Diese Frage schien den Nagel auf den Kopf zu treffen, denn jetzt saß Vater in der Gondel und lächelte schlau.
»Kann schon sein«, sagte er. »Wir sind allesamt seltsame Zwerge. Wir alle sind solche geheimnisvollen Wichte, die plötzlich auf Venedigs Brücken auftauchen.«
Der Gondoliere – der die ganze Zeit keine Miene verzog – setzte uns an einem Platz mit vielen kleinen Straßencafés ab. Mein Vater spendierte Eis und Limo; er selber bestellte Kaffee und etwas, was er »Vecchia Romagna« nannte. Ich war nicht besonders überrascht, als ich entdeckte, daß ihm zum Kaffee ein Getränk in einem eleganten Glas serviert wurde, das an ein Goldfischglas erinnerte.
Nach zwei, drei Gläsern von diesem Getränk blickte mein Vater mir tief in die Augen, als hätte er beschlossen, mich ins größte Geheimnis seines Lebens einzuweihen.
»Du hast doch unseren Garten zu Hause in Hisøy nicht vergessen?« fing er an.
Ich ließ mich nicht dazu herab, eine derart blöde Frage zu beantworten, und er hatte auch keine Antwort erwartet.
»Okay«, fuhr er fort. »Jetzt hör gut zu, Hans-Thomas. Stellen wir uns vor, du kommst eines Morgens in den Garten – und dort entdeckst du zwischen den Apfelbäumen einen kleinen Marsmenschen. Sagen wir, er ist etwas kleiner als du, aber ich überlasse es deiner Phantasie, ob das Kerlchen gelb oder grün ist.«
Ich nickte pflichtschuldig; es hatte keinen Sinn, gegen dieses Thema zu protestieren.
»Der Fremde starrt zu dir hoch – Leute von anderen Planeten starrt man nun mal gern an«,
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