Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
Vom Netzwerk:
fuhr mein Vater fort. »Die Frage ist, wie du reagieren würdest.«
    Ich wollte schon sagen, daß ich den Kerl zum Frühstück einladen würde, doch dann sagte ich wahrheitsgemäß, daß ich wahrscheinlich vor lauter Schreck ein Indianergeheul ausstoßen würde.
    Mein Vater nickte und war sichtlich zufrieden mit dieser Antwort. Ich begriff aber auch, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte.
    »Meinst du nicht, du würdest dich ein bißchen darüber wundern, wer das Kerlchen wohl sein kann und wo es herkommt?«
    »Natürlich«, sagte ich.
    Noch einmal warf er den Kopf in den Nacken und machte ein Gesicht, als taxiere er alle Menschen auf dem Platz. Dann fragte er: »Hast du dir je überlegt, daß du selber so ein Marsmensch bist?«
    Ich war von ihm allerlei gewohnt, aber jetzt mußte ich mich doch an der Tischkante festhalten, um nicht vom Stuhl zu fallen.
    »Oder von mir aus auch Erdmensch«, fuhr er fort. »Es spielt im Grunde keine Rolle, wie wir den Planeten nennen, auf dem wir wohnen. Es geht darum, daß auch du so ein zweibeiniges Kerlchen bist, das auf einem Globus im Universum herumkriecht.«
    »Genau wie der Marsmensch«, sagte ich.
    Vater nickte. »Und sogar, wenn du im Garten über keinen Marsmenschen stolperst, kann es passieren, daß du über dich selber stolperst. Und an dem Tag kannst du auch in ein Indianergeheul ausbrechen. Das wäre das mindeste, denn wir erleben schließlich nicht jeden Tag, daß wir quicklebendige Planetenbewohner auf einer kleinen Insel im Universum sind.«
    Ich verstand, was er meinte, aber es war nicht so leicht, dazu etwas zu sagen.
    »Weißt du noch, daß wir einen Film mit dem Titel ›Die Begegnung‹ gesehen haben?« fragte er.
    Ich nickte. Es war ein irrer Film über Menschen, die fliegende Untertassen von einem anderen Planeten gesehen hatten.
    »Übernehmen wir mal für einen Augenblick die Sprache der Filmemacher: Ein Raumschiff von einem anderen Planeten zu sehen, nennen wir dann eine Begegnung der ersten Art. Wenn wir dazu sehen, wie zweibeinige Wesen das Raumschiff verlassen, sprechen wir von einer Begegnung der zweiten Art. Aber ein Jahr nach der ›Begegnung‹ haben wir einen weiteren Film gesehen...«
    »Und der hieß ›Unheimliche Begegnung der dritten Art‹«, sagte ich.
    »Genau. Und zwar deshalb, weil die Menschen darin fremde Androiden aus einem anderen Sonnensystem angefaßt haben. Diese direkte Berührung nennen wir eine Begegnung der dritten Art. Alles klar?«
    »Alles klar«, sagte ich.
    Danach blickte Vater lange auf den Platz und die vielen Cafés. Dann sagte er: »Aber du, Hans-Thomas, du hast eine Begegnung der vierten Art erlebt.«
    Ich muß ausgesehen haben wie ein lebendiges Fragezeichen.
    »Denn du bist selber so ein geheimnisvolles Raumwesen«, sagte mein Vater nachdrücklich. Dabei stellte er die Kaffeetasse mit einer solchen Wucht zurück auf den Tisch, daß wir uns beide wunderten, daß sie nicht zerbrach. » Du bist dieses geheimnisvolle Wesen und kennst es durch und durch.«
    Ich war verblüfft, aber ich begriff gleichzeitig, daß er recht hatte.
    »Du solltest eine staatliche Stellung als Philosoph bekommen«, sagte ich, und es kam mir wirklich aus dem Herzen.
    Als wir an diesem Abend ins Hotel zurückkamen, entdeckten wir eine riesige Kakerlake auf dem Boden. Sie war so groß, daß ihr Panzer beim Krabbeln knirschte.
    Vater beugte sich über sie und sagte: »Tut mir leid, Kumpel, aber du kannst hier heute nacht nicht schlafen. Wir haben ein Doppelzimmer bestellt, und darin ist nur für uns beide Platz. Außerdem bezahlen wir die Rechnung.«
    Ich hielt ihn schon für völlig durchgeknallt, doch dann blickte er zu mir hoch und sagte: »Die ist zu fett, um sie einfach so umzubringen, Hans-Thomas. Sie ist so groß, daß wir sie als Individuum betrachten müssen, und Individuen bringt man nicht um, selbst wenn einen ihre Anwesenheit stört.«
    »Du meinst, wir sollen sie einfach hier auf dem Boden rumwuseln lassen, während wir schlafen?«
    »Nein! Wir müssen sie hinausgeleiten.«
    Und genau das tat er. Er führte die Kakerlake aus dem Hotelzimmer. Erst stellte er Koffer und Taschen so auf, daß zwischen ihnen eine Straße Richtung Tür entstand. Dann fing er an, die Kakerlake mit einem Streichholz am Hintern zu kitzeln, um sie ein bißchen auf Trab zu bringen. Nach einer halben Stunde hatte sie den Flur vor unserem Zimmerchen erreicht, und Vater fand, er hätte seine Pflicht getan; er wollte den ungebetenen Gast nicht auch noch hinunter zur

Weitere Kostenlose Bücher