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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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konnte ich mich jetzt nicht befinden. Und nirgendwo sah ich eine Spur von Menschen.
    Ich blieb auf dem Hügel, bis im Osten die Sonne aufging: rot wie eine Tomate, aber flimmernd wie eine Luftspiegelung. Weil der Horizont so tief lag, war die Sonne größer und röter, als ich es je gesehen hatte – nicht einmal auf dem Meer.
    Ob das dieselbe Sonne war, die über meinem Elternhaus in Lübeck schien?
    Ich ging den ganzen Vormittag über weiter, von Landschaft zu Landschaft. Als die Sonne hoch am Himmel stand, kam ich in ein Tal mit gelben Rosensträuchern. Zwischen den Sträuchern flogen riesige Schmetterlinge umher; die größten hatten Flügel so groß wie Krähen, waren aber unendlich viel schöner. Sie waren tiefblau gefärbt und hatten zwei große blutrote Sterne auf den Flügeln. Ich fand, sie sahen aus wie lebendige Blumen, als hätten Inselblumen plötzlich vom Boden abgehoben und die Kunst des Fliegens erlernt. Das seltsamste aber war: Das Geräusch der Schmetterlinge war wie Musik. Sie pfiffen in verschiedenen Tonhöhen vor sich hin, und über dem Tal lag leiser Flötenklang – es hörte sich an, als stimmten die Flötisten eines großen Orchesters ihre Instrumente. Ab und zu streiften sie mich mit ihren samtweichen Flügeln. Ich merkte, daß sie schwer und süß dufteten, wie teures Parfüm.
    Ein lebhafter Fluß strömte durch das Tal. Ich beschloß, ihm zu folgen, um nicht ohne jede Orientierung auf dieser großen Insel umherzuirren. Außerdem konnte ich so sicher sein, daß ich früher oder später das Meer erreichte – dachte ich, doch so einfach war das nicht, denn irgendwann im Laufe des Nachmittags endete das weite Tal. Zunächst verengte es sich zu einem Trichter, dann stand ich plötzlich vor einer massiven Felswand.
    Ich begriff das erst nicht, denn ein Fluß kann doch nicht kehrtmachen und dahin zurückfließen, wo er hergekommen ist. Dann sah ich, daß der Fluß in eine Höhle floß. Ich ging bis zur Öffnung in der Felswand und blickte hinein. Drinnen floß das Wasser ruhiger und bildete einen unterirdischen Kanal.
    Vor der Öffnung in der Felswand sprangen einige große Frösche am Ufer herum; sie waren so groß wie Kaninchen, quakten wild durcheinander und veranstalteten einen Höllenlärm. Daß die Natur so große Frösche vorzuweisen hatte, war mir neu. Durchs feuchte Gras krochen außerdem fette Eidechsen und noch größere Geckos. Obwohl ich sie noch nicht in dieser Größe gesehen hatte, war mir der Anblick solcher Tiere doch aus vielen Hafenstädten in aller Welt vertraut. Allerdings nicht ihre Farben: Hier auf der Insel waren die Kriechtiere rot und gelb und blau.
    Ich entdeckte, daß es möglich war, am Ufer des Flusses entlang in die Höhle hineinzugehen, und beschloß, es einmal zu versuchen und zu sehen, wie weit ich kommen würde.
    Drinnen im Berg herrschte ein blaugrünes Dämmerlicht. Das Wasser schien sich kaum zu bewegen. Auch hier entdeckte ich im kristallklaren Wasser muntere Goldfischschwärme.
    Nach einer Weile hörte ich von weiter vorn in der Höhle ein schwaches Dröhnen. Je näher ich kam, desto lauter wurde dieses Geräusch; bald hörte es sich an wie donnernde Pauken. Mir war klar, daß ich mich einem unterirdischen Wasserfall näherte, und ich überlegte mir, daß ich wohl doch würde kehrtmachen müssen. Aber noch ehe ich den Wasserfall erreicht hatte, füllte die Höhle sich mit hellem Licht, und als ich nach oben schaute, sah ich ein kleines Loch in der Felswand, durch das es in die Höhle fiel. Ich kletterte, ohne zu zögern, zu der Öffnung hoch – und blickte bald auf eine Landschaft, die so blendend schön war, daß mir die Tränen in die Augen traten.
    Ich konnte mich nur mit Mühe durch das Loch zwängen, doch ich schaffte es. Als ich im Freien stand, lag zu meinen Füßen ein so üppiges und grünes Tal, daß ich das Meer nicht mehr vermißte.
    Ich stieg den Berg hinunter, auf dem ich mich befand, und je weiter ich ins Tal kam, desto mehr Sorten von Obstbäumen entdeckte ich. Einige trugen Äpfel und Apfelsinen und andere Früchte, die ich schon kannte. Aber hier wuchsen auch Früchte und Beeren, wie ich noch keine gesehen hatte. Die größten Bäume hatten längliche, pflaumenähnliche Früchte, einige kleinere Bäume trugen grünes, tomatengroßes Obst.
    Auf dem Boden wimmelte es von allerlei Blumen, eine Art phantasievoller als die andere. Es gab Glockenblumen, Schlüsselblumen und Anemonen, und überall wuchsen kleine Rosenbüsche mit einem dichten

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