Das Karussell der Spitzbuben
Nein, Gewissensbisse machten mir nicht zu schaffen. Trotz eines gewissen Herzklopfens überwog die Vor- und Schadenfreude über die Bestrafung des Halunken Selegy. Nur, war ich auch dann kriminell, wenn ich mich mit keiner Mark bereicherte? Ich beschloß, noch intensiv über diese Frage nachzudenken...
Ja, und so lagen wir dann am ersten Sonntag im Juni zu viert auf einer Lichtung hinter einem dichten Brombeerbusch und harrten Gabor Selegys Rolls-Royce.
Es roch wunderbar nach Wald, Moos und Erde. Vögel zwitscherten, und diverse Waldameisen interessierten sich speziell für mich.
Die Nichte Adele war ein blondes, vor Furcht zitterndes Persönchen von neunundzwanzig Jahren oder, anders ausgedrückt, ein dünner, langhaariger Zahnstocher mit dem Doktorgrad der Philosophie. Sie hatte mit ihrer Tante so viel Ähnlichkeit wie ein Kanarienvogel mit einer griechischen Landschildkröte.
Der Cousin Peter dagegen maß gute zwei Meter und wirkte hinter seiner Maske regelrecht furchteinflößend. Doch in Wirklichkeit führte er einen Kampf gegen Nervosität und Atemnot. Peter zählte sechsundzwanzig Lenze und studierte Medizin. Immer wieder, als wollte er sich damit Mut machen, boxte er tiefe Kuhlen in den weichen Waldboden. Die einzige, die gelassene Ruhe ausstrahlte, war unsere Anführerin Katharina. Sie hockte auf gekreuzten Beinen und lächelte still und böse vor sich hin.
Wir trugen lange Ponchos, das heißt, was mir bis zu den Knien reichte, bedeckte beim Riesen Peter kaum den Oberschenkel. Die vier „Waffen“ lagen zusammen mit vier Pudelmützen und vier Weihnachtsmannmasken auf einem Haufen und warteten auf ihren Einsatz.
Adele sah mich mit einem hilfesuchenden Blick an, sie wollte mir offensichtlich etwas zuflüstern, doch dazu kam es nicht mehr. Katharina, die „Bandenchefin“ mit dem Gehör eines Murmeltiers, zischte in den friedlichen Sonntag: „Ein Auto kommt! Los, Adele, dein Auftritt!“
„Mein Gott, Tante“, jammerte Dr. Adele, die Hände ringend, „was geschieht, wenn er einfach über mich wegfährt?“
Diese Frage verblüffte sogar Frau Maßlos. Aber nur zwei Atemzüge lang währte die Verblüffung. „Gabor Selegy mag ein skrupelloser, hinterhältiger Gauner sein, ein Mörder ist er nicht!“ sagte sie und hatte bereits den Weihnachtsmann vor der gepuderten Vorderfront.
Sekunden später waren wir aktionsbereit, und die zitternde Adele taumelte zu ihrem „Liegeplatz“.
Jetzt hörte auch ich näher kommendes Motorengeräusch. Es war der Rolls-Royce.
Adele lag bereits mitten auf dem Weg, das Gesicht so zwischen den Armen versteckt, daß man die Maske nicht sah. Wir waren ungefähr zwanzig Meter von ihr entfernt. Der Rolls-Royce kam um die Kurve, der Augenblick, in dem Selegy das Mädchen sehen mußte. Ein Ausweichen war unmöglich.
Fünf Meter vor Adele hielt der Wagen. Ich sah meinen ehemaligen Chef aussteigen und hörte seine Stimme: „Ach, du mein lieber Himmel, was ist Ihnen passiert? Haben Sie gehabt einen bösen Sturz?“
Die beiden Sätze hatten gerade die richtige Länge, um uns an den Ort des Geschehens zu bringen. Auch Adele stand bereits wieder, und man sah, wie sie der Länge nach zitterte. Selegy allerdings dürfte es kaum bemerkt haben. Seine entsetzt aufgerissenen Augen waren vollauf damit beschäftigt, die heranstürmende Verstärkung zu registrieren. Besondere Furcht schienen ihm die vier riesigen Colts einzuflößen.
„Bitte, ist Brieftasche mit Geld in Jacke links!“ rief er, noch ehe Peter der Lange einen Ton gesagt hatte. Seine bereits zur linken Tasche unterwegs befindliche Hand stoppte jäh.
„Noch eine Bewegung, mein Freund, und du bist ein Sieb, durch das der Wind bläst!“ Es handelte sich bei dieser Drohung um einen ausgesprochenen Brüller.
Da Gabor Selegy kein Sieb sein wollte, durch das der Wind blies, erstarrte er zum Denkmal. Dabei regte sich weit und breit kein Lüftchen.
„Hast du was gesagt, Bruder?“ fauchte Peter.
„Na, wo werde ich, wo mir doch das Leben soviel Spaß macht!“
„Streck deine Hände vor!“
Gabor streckte seine Arme lang aus, und Peter begann mit der Ernte der Früchte. Ring um Ring zog er von Selegys dicken Fingern.
Und Selegy stieß ein gequältes Lachen aus, tat, als erheitere ihn das alles ungemein. „Na, wenn Sie es abgesehen haben auf Schmuck meinigen, bitte. Bitte särr, bitte scheen!! Werden Sie haben keine Freude damit, mein Herr, ist alles Imitation, wenn Sie verstehen.“
Unbeirrt machte Peter bei den
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