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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Frachtraum untergebracht. Einige lagen in Hängematten, doch die meisten von uns schliefen auf dem Boden. Es gab nicht genug zu essen und zu trinken, die Männer kämpften um jeden Bissen. Lediglich für ein paar Minuten pro Tag durften wir an Deck, um uns die Beine zu vertreten. Wie im Gefängnis. Und so wurden wir auch behandelt. Die Aufseher waren übrigens echte Kriminelle – kannst du dir das vorstellen? Ja, wirklich. Sie wurden bloß aus dem Gefängnis entlassen, damit sie uns bewachen konnten. Absurd. «
    Was für eine widersinnige Umkehrung, dachte ich. Kriminelle bewachten unschuldige Menschen. Später schrieben einige Internierte an britische Zeitungen und Minister und beschwerten sich darüber, wie sie behandelt worden waren. Es gab eine Anhörung im Parlament und eine offizielle Untersuchung mit dem Ergebnis, dass diese Personen entlassen wurden und nach Hause zurückkehren durften.
    » Was ist mit deinen Sachen? Bestimmt wurde auf dem Schiff gestohlen, oder? « , fragte ich.
    » Ja, ein paar Dinge kamen weg, aber nichts von Wert. Ich bin froh, dass ich mein Mäppchen mit den Fotos bei dir gelassen habe. Du hast es doch noch? «
    » Natürlich, mein Schatz. Natürlich. Schade, ich hätte es mitbringen sollen. «
    » Keine Sorge, ich werde bald nach Westbury kommen. Bewahre es noch ein bisschen für mich auf. «
    Nach ihrer Ankunft in der australischen Wüste mussten sie erst mal ein Lager bauen, denn dort war nichts vorbereitet. Nicht eine einzige Hütte. Stefan erzählte es ohne Bitterkeit, hatte sich offenbar ausgesöhnt mit seinen Erfahrungen, mit dem Leben hinter Stacheldraht in brütender Hitze und ohne ausreichende Nahrung.
    » Wenigstens waren die Australier nicht grausam « , sagte er. » Und ich hatte Kurt und Walter. Wir waren eine Familie. «
    Er zog eine Brieftasche aus seiner Jacke und gab mir einen Geldschein. » Wir hatten sogar unser eigenes Geld. Hier, ich habe dir einen Schein mitgebracht, obwohl er bestimmt nichts wert ist « , sagte er grinsend. Ich konnte die dilettantisch gedruckten Wörter erkennen: Hay Camp One Pound. » Um Geld zu verdienen, habe ich Klavierstunden gegeben. «
    » Wie kam bitte ein Klavier in die Wüste? « , fragte ich.
    » Ich weiß nicht. Irgendjemand aus der nahen Stadt hat es wohl für die armen Gefangenen gestiftet. Die englischen Soldaten, die uns bewachten, nannten es Joanna. Warum auch immer. Ist doch ein Mädchenname. «
    » Es reimt sich auf ›Pianna‹ « , sagte ich lachend. » Es müssen Cockneys gewesen sein. « Er verstand mich nicht und runzelte die Stirn. » Cockney ist ein ziemlich vulgärer Londoner Dialekt. Und die Leute, die ihn sprechen, würden statt ›Piano‹ ›Pianna‹ sagen. «
    Stefan lachte und setzte seinen Bericht fort. » Mein talentiertester Schüler war ein deutscher Jude, der jahrelang in Frankreich gelebt hatte und kurz vor dem Einmarsch der Wehrmacht rauskam. Im Gegenzug brachte er mir Französisch bei. Netter Kerl. Dank seiner Bemühungen spreche ich inzwischen fast fließend. «
    Er nahm mein Gesicht in die Hände. » Lilymaus, tu es la plus jolie fille de tout Londres. Je t’aime, ma petite souris. «
    » Je t’aime aussi. Tu es un très bel ami « , antwortete ich mit meinem Schulmädchenakzent, und wir versanken wieder in Küssen und Umarmungen.
    » Was ist mit Kurt und Walter? Warum sind sie nicht bei dir? « , fragte ich ein wenig später.
    » Sie sagten uns, wir könnten zurück nach England, wenn wir bereit wären, uns anwerben zu lassen. Wir redeten lange darüber. Kurt will trotz allem nicht gegen die Deutschen kämpfen, und Walter ist zu jung, um sich zu verpflichten. Sie wählten einen anderen Weg, der uns ebenfalls angeboten wurde, und beantragten ein Visum für Australien, mit dem sie das Lager verlassen und sich frei im Land bewegen können. « Er wurde still. » Es fiel uns schwer, uns zu trennen, aber ich musste zurück zu meiner Lily. «
    » Ich liebe dich « , flüsterte ich.
    » Und ich liebe dich, Lilymaus « , sagte er und beugte sich über mich, um mir einen Kuss auf die Nasenspitze zu geben. Dann ließ er sich wieder auf den Rücken sinken und sagte nach einer nachdenklichen Pause: » Ich tue das auch für meine Familie, verstehst du? «
    Ich nickte, obwohl ich ihn nur teilweise verstand. » Hat die Armee verlangt, dass du deinen Namen änderst? «
    » Nein, sie deuteten nur an, es sei eine gute Idee « , sagte er fast unhörbar. » Wenn ich hierher zurückkäme. «
    » Ich verstehe, warum du

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