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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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das Sie wissen möchten? « , fragte er.
    Ich zögerte, denn in der Tat gab es etwas. Nur war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich um jeden Preis wissen wollte. » Ich weiß, dass das schwierig einzuschätzen ist – weiß man, ob er leiden musste, bevor er starb? Was meinen Sie? «
    » Na ja, das ist wirklich nicht so ohne Weiteres zu sagen, aber ich habe im Lazarett einen Mann getroffen, der ebenfalls an dieser Mission teilnahm, allerdings zur Besatzung eines anderen Flugzeugs gehörte und etwas mehr wusste. «
    » Bitte, sprechen Sie weiter « , drängte ich ihn, als er innehielt.
    » Also, der Mann hieß Giorgio und führte eines der anderen Teams. Er selbst landete beim Sprung auf einer Hochspannungsleitung und verlor beide Beine, sein Funker starb und ebenfalls einer aus einem dritten Flugzeug. Von zwölf Mann, die in dieser Nacht absprangen, kamen vier ums Leben, und zwei wurden schwer verletzt. «
    Peter Newman hielt inne und suchte nach Worten. » Giorgio meinte, sie alle sind offenbar zu schnell runtergekommen und wer auf dem Boden aufprallte, sei sofort tot gewesen. «
    Der Raum fing an zu schlingern wie ein Schiff bei schwerer See. Ich griff nach der Tischkante, um mich festzuhalten.
    » Was meinen Sie mit ›zu schnell runtergekommen‹? « In meiner Fantasie sah ich Stefan durch die Dunkelheit stürzen, hörte seine entsetzten Schreie. Das Schlingern nahm zu, und mir wurde übel.
    Peter Newman schaute mich besorgt an. » Das wissen wir nicht genau, Mrs. Holmes. Die Sprünge waren wohl okay, und die Schirme haben sich auch geöffnet … Nur sind sie aus irgendeinem Grund zu schnell am Boden aufgekommen. So was passiert. Vielleicht flogen die Maschinen zu tief, oder es hatte mit den Leinen zu tun oder der Faltung oder mit den Schirmen selbst. Ich glaube nicht, dass wir das je erfahren werden. «
    Den Schirmen selbst.
    Als Peter Newman verstummte, wurde es ganz still in dem kleinen Raum. Dafür dröhnte es laut in meinem Kopf. Die Schirme. Robbies Worte kamen mir in Erinnerung: Machen Sie es falsch, sterben die Piloten.
    » O nein « , stöhnte ich, » nicht die Fallschirme. «
    » Mrs. Holmes? « Peter Newman musterte mich besorgt. » Geht es Ihnen gut? « Ich nickte, riss mich zusammen und bat ihn fortzufahren, obwohl vor meinen Augen alles verschwamm.
    » Es gibt leider nicht mehr viel zu erzählen. Bevor ich gehe, wollte ich Ihnen noch eines sagen … « Er stockte, und ich versuchte meine Lippen zu einem aufmunternden Lächeln zu verziehen. » Ich habe von Steve so viel über Sie gehört, und ich freue mich, dass ich Sie kennenlernen durfte. Trotz der traurigen Umstände. « Er machte eine kurze Pause. » Ich sage das nicht einfach nur so, doch Steve war wirklich und wahrhaftig einer der besten Männer, die ich je getroffen habe. «
    Ich sprach die Worte nicht aus, die sich in meinem Kopf formten: Dieser gute Mann, Ihr Freund, mein Mann, und diese anderen guten Männer, sie starben meinetwegen. Es war meine Schuld.
    Stattdessen dankte ich ihm höflich für seinen Besuch, reichte ihm die Hand und begleitete ihn hinaus.

Kapitel 22
    In vielen Kulturen gilt es als ein Zeichen des Respekts den Verstorbenen gegenüber, ihre Körper vor der Beisetzung in Seide zu wickeln. Bei den Juden hingegen ist es verboten, die Toten in seidenen Leichentüchern oder in goldverzierter Kleidung zu beerdigen, da dies als Zeichen von Hochmut und als Verschwendung nützlicher Güter angesehen wird.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Ich schaute Peter Newman nach, wie er über den Hof und durch das Tor davonging. Vom Krieg gezeichnet und doch stark und lebendig. Die Welt, die während seines Berichts zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft war, drang wieder auf mich ein mit ihrem Lärm und ihren Farben, und dennoch war ich unfähig an etwas anderes zu denken als den beiläufig geäußerten Verdacht, es könnte auch an den Schirmen selbst gelegen haben.
    Genau hier, vor dem Eingangstor der Fabrik, hatte ich an jenem Märzabend vor zwei langen Jahren gestanden und einen fatalen Entschluss gefasst. » Ja «, sagte ich damals zu Robbie Cameron – ja, ich könne zwanzig Ballen liefern. Aber zwei waren fehlerhaft. Es war eine Lüge und ein Betrug zugleich. Mit womöglich tödlichen Konsequenzen. Fehlerhafte Seide führte zu fehlerhaften Fallschirmen. Fehlerhafte Fallschirme kosteten Leben. Und vielleicht hatte es bereits Opfer gegeben, von denen eines mein eigener Mann war. Hätte ich doch damals einfach Nein gesagt

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