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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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und den Mut aufgebracht, mich gegen Robbies Drohungen zur Wehr zu setzen. Nein Robbie, ich kann keine zwanzig Ballen liefern. Stefan könnte noch leben und zu mir zurückkehren und mich in den Armen halten. Stattdessen lag er in einem namenlosen Grab in fremder Erde. Warum war ich bloß so feige gewesen? Nicht nur in dem Moment, sondern auch anschließend, als ich niemandem von meiner Lüge erzählte? Da wäre es noch möglich gewesen, den Fehler wiedergutzumachen und die Seidenballen zurückzurufen. Doch ich hatte geschwiegen.
    Jetzt erfuhr ich, was Buße bedeutete. Die Illustrationen aus unserer Familienbibel kamen mir wieder in den Sinn. Schreiende Seelen, die in eine Grube voller Flammen gezogen wurden, in die ewige Verdammnis – und das Wissen um meine Schuld stürzte mich wie sie direkt ins Höllenfeuer. Wie sollte ich mit dieser Bürde weiterleben?
    Es wäre besser, tot zu sein, redete ich mir in meiner Verzweiflung ein und dachte über Selbstmord nach. Sollte ich mich auf die Gleise legen oder mit Steinen beschwert in den Fluss springen? Oder in einen dieser dampfenden Kessel im Färberaum, die dem Fegefeuer vielleicht am meisten ähnelten?
    Dann wieder schienen mir Stimmen zuzuflüstern, dass es schließlich nicht allein meine Schuld gewesen sei. Eine verlockende Vorstellung. Und war es nicht wirklich eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen? Die minderwertige Seide. Der Ausfall der Anlage. Berts Unfähigkeit. Gwens Nachlässigkeit. Vor allem Gwen: Wo war sie im entscheidenden Moment gewesen? Jedenfalls nicht dort, wo sie sein sollte. Trotz ausdrücklicher Anweisung von mir, Bert nicht aus den Augen zu lassen, hatte sie genau das getan. Und damit eindeutig zu dem Verhängnis beigetragen. Ich fühlte mich erleichtert – die eigene Schuld wurde gleich viel erträglicher, wenn man sie aufteilte.
    Das Schrillen der Sirene, das die Pause ankündigte, riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und ging zurück in mein Büro, murmelte etwas von schrecklichen Kopfschmerzen und dass ich nach Hause gehen würde. Die Sekretärinnen nickten mitfühlend und schienen nicht an der Wahrheit meiner Worte zu zweifeln.
    Zu Hause holte ich mir eine Flasche Whisky aus dem Keller, von dem wir noch immer einen eisernen Vorrat hatten, und rannte nach oben in mein Schlafzimmer. Mutters Ruf: » Lily, bist du das? « , ignorierte ich. Ich klemmte einen Stuhl unter die Türklinke und zog die Gardinen zu, wollte mich nur noch betäuben, um meine Schuld, meine Seelenqualen und meine Wut zu vergessen. Direkt aus der Flasche schüttete ich den Whisky in mich hinein, bis der Schmerz langsam nachließ und meine Augenlider zufielen.
    Ich wachte erst auf, als Gwen an die Tür klopfte und die Klinke runterzudrücken versuchte. Vergeblich. » Lily, bist du da drin? Lass mich rein, bitte! «
    » Ich will niemanden sehen « , rief ich. Inzwischen schmerzte mein Kopf bei der kleinsten Bewegung.
    Sie probierte es erneut. » Was ist denn los, Liebes? Bitte, lass mich rein! «
    Mein Kopf fuhr Karussell, mir war schlecht vom Whisky, und ich war verzweifelt, weil mir mein Elend erneut zum Bewusstsein kam. Und wütend: auf mich wegen meiner unverzeihlichen Lüge und auf die anderen, die dazu beigetragen hatten, dass es so weit kommen musste. Also vor allem auf Gwen.
    » Ich bin nicht dein Liebes « , giftete ich sie lallend an. » Hau ab! «
    Stille. Sie war gegangen, würde jedoch bestimmt wiederkommen. Und irgendwann stand sie im Zimmer, in der Hand eine Art Stemmeisen, mit dem sie sich Zutritt verschafft hatte. Türschloss und Stuhl waren zerbrochen.
    » Um Gottes willen, Lily, warum hast du die Tür verbarrikadiert? «
    » Hau ab « , stöhnte ich. » Ich will keinen sehen. «
    Sie zögerte, wie ich trotz der Dunkelheit erkennen konnte, und straffte dann die Schultern. » Nein, Lily. Was ist hier los? Ich will es wissen. «
    Ihre freundliche Beharrlichkeit reizte mich und brachte das Fass zum Überlaufen. Mein Verstand verabschiedete sich endgültig, und ich geriet in Rage. Als würde in meinem Innern ein zweites, böses Ich gewaltsam ausbrechen und die Kontrolle übernehmen. Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. » Ich sage dir, was los ist « , lallte ich, drückte mich vom Bett ab und schwankte wie ein Seemann beim ersten Landgang nach langer Fahrt. Während ich mich an der Kommode abstützte, drang ein Schwall gemeiner Sätze aus meinem Mund – es war meine Stimme, doch die Worte musste mir jemand eingeflüstert haben, dachte ich.

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