Das Kastanienhaus
Ihnen jetzt erzähle, unterliegt strengster Geheimhaltung. Deshalb müssen Sie mir versprechen, es niemandem gegenüber zu erwähnen. «
» Das verspreche ich Ihnen, aber bitte, fahren Sie fort « , sagte ich und erschrak, wie unbeteiligt ich über all das redete.
» Steve und ich und zehn andere wurden hinter den feindlichen Linien in Frankreich abgesetzt « , fing er an und senkte wieder den Blick, vielleicht um seine Betroffenheit zu verbergen oder meinen Schmerz nicht zu sehen. Abgesetzt? Per Fallschirm? Ich wusste zwar, dass er einen gefährlichen Auftrag erfüllen sollte, aber an einen Sprung mit dem Fallschirm über Feindesland, daran hatte ich nie gedacht.
» Dann war er also bei den Fallschirmjägern « , stieß ich mühsam hervor.
» Es ist unerheblich für Sie, um welche Einheit es sich handelte. Wissen sollten Sie allerdings, dass es unser Auftrag war, die Résistance zu unterstützen. «
» Inwiefern? «
» Wir sollten ihnen helfen, Vorkehrungen für die erwartete Invasion zu treffen. « Er hob abwartend den Blick.
» Weiter « , sagte ich. » Erzählen Sie bitte weiter. «
» Wir flogen nachts über den Kanal und mussten an der Küste der feindlichen Flak ausweichen. Es war dunkel und laut und ziemlich beängstigend in dem Flugzeug « , sagte er. » Wir hatten keine Ahnung, wo genau wir abgesetzt würden und was uns unten erwartete. « Er hielt inne, als durchlebe er alles noch einmal, holte tief Luft und redete schnell weiter.
» Steve war ganz ruhig, ganz gefasst. Genau der Mensch, den man sich in einer solchen Situation an seiner Seite wünscht. Er wusste genau, warum er das auf sich nahm – um eine Rechnung zu begleichen, sagte er. Und er machte auch mir Mut. Außerdem erzählte er mir von der Arbeit in Ihrer Fabrik. Dass die auf Seide gedruckten Landkarten in unserem Jackenfutter bei Ihnen gewebt wurden. «
Ich nickte.
» Er selbst hatte sich in seine Jacke zudem Stücke seines Tallit genäht. Wie Sie ja wahrscheinlich wissen, war er nicht religiös, aber er wollte das Gebet sprechen, wenn er sprang. Schma Jisrael. Kennen Sie es? Für seine Mutter. «
» Hannah « , murmelte ich. Wo mochte sie sein? Und Isaak und die kleinen Mädchen? Sie hatten nie von Stefans Tod erfahren. Wie sollten sie auch – es gab ja keinerlei Kontakt mehr zu ihnen.
» Vor allem wollte ich Ihnen das Folgende erzählen, Mrs. Holmes. Als wir in die Absprungzone kamen, warteten wir in einer Reihe hintereinander, Ihr Mann stand ganz dicht hinter mir. Deshalb konnte ich genau hören, was er sagte. Er brüllte: ›Viel Glück, Jungs!‹, und kurz bevor ich absprang, hörte ich ihn flüstern: ›Ich liebe dich, Lilymaus. Pass für mich gut auf den kleinen Stevie auf.‹ « Er hob den Blick und lächelte mich schüchtern an. » Ich dachte, es wäre Ihnen vielleicht ein Trost, das zu wissen. «
Meine Augen brannten, doch es kamen keine Tränen.
» Das waren seine Worte, ich kann sie jetzt noch hören. Und ich dachte in dem Augenblick, du glücklicher Scheißkerl. Entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, Mrs. Holmes. «
Gefasst erwiderte ich Peter Newmans Lächeln und war froh, dass er es mir erzählt hatte. Und bei dem Gedanken, dass Stefan für mich eine letzte Liebeserklärung zum Himmel hinaufgeschickt hatte, fühlte ich mich sogar ein wenig glücklich.
Mein Besucher wollte seine Geschichte jetzt offenbar schnell zu Ende bringen. » Danach ging alles schief. Ich landete auf einem Dach und habe mir den Arm ruiniert. « Er winkte mit dem leeren Ärmel. » Wurde erst nach ein paar Stunden gerettet und dachte eigentlich, Steve und der Funker seien sicher gelandet und untergetaucht. Später erfuhr ich, dass Leute von der Résistance ihre Leichen gefunden haben. Sie waren wohl sofort tot, hingen noch in ihren Gurten und am Schirm. Herrje, ich war vielleicht fertig. «
» Sie sind abgeschossen worden? « , fragte ich.
» Nein, darauf gab es keine Hinweise. Es war allen ein Rätsel, was schiefgelaufen ist. Keiner wollte uns etwas sagen. « Peter Newman schüttelte den Kopf, zog an seiner Zigarette und drückte sie entschlossen aus. » Die Franzosen haben die Jungs heimlich in einer Ecke ihres Friedhofs begraben, wie ich später hörte. «
Ich seufzte. Auch wenn ich vielleicht nie erfuhr, wie Stefan gestorben war, so beruhigte und tröstete mich das Wissen, dass es irgendwo ein Grab gab – einen Ort, zu dem ich fahren könnte, um Abschied zu nehmen.
Wir schwiegen, hingen unseren Gedanken nach. » Gibt es noch etwas,
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