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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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ernsthaft über Seide unterhalten. «
    » Es wäre uns ein Vergnügen « , sagte ich und strahlte ihn an, denn ich fühlte mich ehrlich geschmeichelt, dass er mich einbezog. » Wenn ich Sie Robbie nennen soll, dann müssen Sie ebenfalls mit diesem Miss Verner aufhören. Bitte, nennen Sie mich Lily. «
    » Und, reizende Lily « , sagte er, als er mir Wein nachschenkte, » sind Sie je in einem Flugzeug geflogen? «
    » Äh … nein « , stotterte ich nervös. » Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas für mich ist. «
    » Würden Sie es gerne einmal ausprobieren? Wir könnten eine kleine Spritztour machen, speziell für Sie. «
    » Vielleicht darf ich erst noch zu Ende essen? «
    Er lachte schallend, und als während des Desserts Musik aus einer anderen Ecke des weitläufigen Hauses zu uns herüberdrang, beugte er sich zu mir. » Hören Sie die Band, Miss Lily Verner? Ich wette, Sie sind eine gute Tänzerin. Hoffe, Sie mögen Swing. «
    Ich lächelte und sagte nichts, um meine Unwissenheit zu kaschieren.
    » Nimm dich vor dem in Acht, Schwesterchen. Sieht mir aus wie ein Draufgänger und ist sowieso zu alt für dich « , flüsterte John mir zu, als wir den Speisesaal verließen. Aber das war mir egal. Der Wein machte mich verwegen und selbstbewusst, und ich war entschlossen, mich zu amüsieren.
    Nach ein paar eher behäbigen Walzerrunden ging Robbie zum Kapellmeister und sprach mit ihm. Die Musiker lächelten übers ganze Gesicht, wechselten das Tempo und stimmten ein sehr schnelles jazziges Stück an. Robbie zog mich auf die Tanzfläche und fing an, wie ein Derwisch zu tanzen und die Beine so hoch zu werfen, dass ich schon fürchtete, einen allzu intimen Einblick unter seinen Rock geboten zu bekommen. Er gab mir gestikulierend zu verstehen, ich solle das Gleiche tun, schwenkte mich von einer Seite zur anderen und wirbelte mich um meine eigene Achse. Es war aufregend, so frei und zu derart mitreißenden Rhythmen zu tanzen.
    » Das ist der Lindy Hop « , rief er mir zu. » Kommt ganz frisch aus Amerika. Benannt nach Charlie Lindbergh. Macht Spaß, was? «
    Ich hatte noch nie von dem berühmten Flugpionier gehört, der als Erster alleine nonstop den Atlantik überquert hatte, doch diese Art des Tanzens, die ich bislang nicht kannte, machte tatsächlich Spaß. Gleichzeitig fand ich es etwas absurd, so entfesselt in Ballkleidern und Abendanzügen herumzuhopsen – dazu in einem altmodischen Herrenhaus mit ungezählten funkelnden Kronleuchtern und Spiegeln, in dem man sich eher in die Ära der Queen Victoria zurückversetzt fühlte. Trotzdem blieben wir alle auf der Tanzfläche und lindyhoppten durch bis Mitternacht, als die Band zur schottischen Tradition zurückkehrte und das neue Jahr mit Auld Lang Syne begrüßte.
    Nachdem wir mit Champagner auf ein friedliches 1939 angestoßen hatten, erwies sich Robbie ebenso geübt in Quickstepp und Foxtrott, führte mich sicher über die Tanzfläche und wirbelte mich bei jeder Gelegenheit herum. In seinen Armen war es so einfach, anmutig zu sein – oder sich zumindest so zu fühlen. Ich war enttäuscht, als die Band zu spielen aufhörte und die Tänzer sich zerstreuten.
    Robbie begleitete mich, den Arm eng um meine Taille, zum Fuß der Treppe.
    » Gute Nacht, Miss Lily Verner. « Er legte einen Finger unter mein Kinn, hob mein Gesicht an und drückte seine Lippen auf meine. Mein erster Kuss. Ich hatte es mir aufregender vorgestellt, gefühlvoller, denn ich schmolz nicht dahin und wusste nicht recht, wie ich die Berührung seiner Lippen überhaupt finden sollte. Vielleicht sogar ein bisschen unangenehm? Schnell löste ich mich von ihm und verabschiedete mich.
    » Es war ein reizender Abend, aber ich muss jetzt zu Bett « , stotterte ich überhastet.
    » Du hast ihn bereits zu etwas ganz Besonderem gemacht, du süßes Ding. Schlaf gut. Bis morgen früh. « Dieses Mal küsste er meine Nasenspitze und tätschelte mir reichlich unverfroren den Hintern, was ich leicht schockierend fand. Als ich verwirrt und aufgewühlt in mein eisiges Bett kletterte, fragte ich mich, ob das, was ich gerade erlebt hatte, die erste Stufe auf dem Weg zum Verlieben war. In meiner Fantasie hatte ich es mir irgendwie anders ausgemalt.
    Am nächsten Tag frühstückten wir in bester Herrenhausmanier: Rührei, Schinken, Bücklinge, dazu ein indischer Fischeintopf, der » Kedgeree « hieß. Alles serviert auf schönen silbernen Warmhalteplatten, die auf dem antiken Sideboard standen. Plötzlich vernahmen wir die

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