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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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während wir auf seinen Vermittlungsvorschlag warteten. » Können wir Ihnen in der Zwischenzeit vielleicht anders behilflich sein, Mr. Cameron? «
    » Nun, wichtig ist Folgendes: Sobald der Ernstfall eintritt, müssen wir in der Lage sein, unverzüglich mit der Produktion von Fallschirmen zu beginnen – und glauben Sie mir, das wird nicht mehr lange dauern « , sagte Robbie. » Ich an Ihrer Stelle, Mr. Verner, würde mit Testgeweben für Fallschirmseide anfangen und in Maschinen zur Veredelung investieren. Dann könnten Sie die Aufträge von jetzt auf gleich übernehmen. «
    Vater zog mit verhaltener Miene an seiner Pfeife.
    » Es lohnt sich, darüber nachzudenken « , sagte John. » Der Bedarf an Seidenkrawatten und Seidenkleidung pflegt in Kriegszeiten zurückzugehen. Da gönnen sich die Menschen solche Luxusartikel zumeist nicht mehr. «
    Vater nickte nachdenklich. » Aber wir müssten eine Menge Geld investieren. Deshalb möchte ich, bevor wir uns in ein solches Unterfangen stürzen, schon sichergehen, dass es tatsächlich einen Bedarf gibt. Wir würden mit anderen Worten alles auf die Kriegskarte setzen. «
    » Ich verstehe Ihren Standpunkt, Sir « , sagte Robbie. » Doch die Sache ist die: Bei Fallschirmseide muss einfach alles stimmen. Die Qualität des Fadens, das Gewebe und die Veredelung. Das alles ist entscheidend, um die richtige Porosität zu erreichen. Andernfalls sind die Fallschirme nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Was wir brauchen, ist eine Firma wie die Ihre, die wegen ihrer Qualitätsarbeit in hohem Ansehen steht. « Er deutete auf die Fotografien an der Wand. » Und die mit der Erfahrung von Generationen aufwarten kann. «
    Du gerissener Schuft, dachte ich. Du weißt genau, wie du Vater durch deine Schmeicheleien zur Zustimmung bewegst: Abstammung, Qualität, Ruf. Du sagst genau das Richtige. In diesem Moment hielt Robbie kurz inne und sprach diese Worte aus, die selbst nach mehr als sechzig Jahren mein Herz noch immer mit Grauen erfüllen. » Machen Sie es richtig, retten Sie Leben. Machen Sie es falsch, sterben die Piloten. «
    Danach gab es nicht mehr viel zu diskutieren. Vater willigte ein, sein Angebot zu überdenken, und John erbot sich, Robbie durch die Fabrik zu führen. Ich fürchtete schon, er würde Westbury ohne die kleinste Anspielung auf den Silvesterabend verlassen, doch als er meine Hand zum Abschied nahm, drückte er sie bedeutungsvoll und irgendwie zärtlich. » Es war mir ein großes Vergnügen « , sagte er, und seine Stimme klang wie ein intimes Flüstern. » Ich werde Sie wiedersehen, Lily Verner, und zwar bald. Das verspreche ich. «
    Der intensive Blick seiner blauen Augen und das verschwörerische Zwinkern ließen mich erröten und verzauberten mich.

Kapitel 5
    Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 führte zu einer Massenauswanderung französischer Protestanten, bekannt als Hugenotten, die Parallelen im gesamten zwanzigsten Jahrhundert findet. Diese Maßnahme beraubte alle Nichtkatholiken ihrer durch König Heinrich IV . gewährten Bürgerrechte und verbot ihnen die Ausübung ihrer Religion. Daraufhin verließen etwa 250 000 wohlhabende Hugenotten aus den verschiedensten Berufszweigen ihr Land, darunter viele erfahrene, geschickte Seidenweber. Sie vor allem fanden in England eine neue Heimat und ließen sich zumeist in Spitalfields im Osten Londons nieder, um hier Seidenmanufakturen nach französischem Vorbild aufzubauen.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Nach vier Monaten hatten sich meine Glieder an die Arbeit in der Weberei gewöhnt. An das stundenlange Hin- und Herlaufen zwischen den Webmaschinen, an das gebeugte Stehen, wenn man nach Fehlern suchte, an das Herumkrabbeln unter der Webkette. An das Hochhieven unzähliger schwerer Kisten mit Spulen, um das Schiffchen aufzufüllen. Doch am Ende eines jeden Tages fühlten sich meine Beine immer noch so schwer an wie am ersten Tag, meine Augen brannten von der Anstrengung, die feinen Gewebe peinlich genau nach Fehlern abzusuchen, und meine Ohren schmerzten von dem ständigen infernalischen Lärm.
    Ein bitterkalter Februar lag hinter uns, und die Nachrichten klangen deprimierend. Hitler war, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen, ein Kriegstreiber. Und ein Volksverhetzer, denn jetzt behauptete er, die Juden hätten sich politisch, wirtschaftlich und kulturell so viel Einfluss verschafft, dass sie alle anderen dominierten. Er machte sie für alle Krisen der Zeit verantwortlich, nicht nur in

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