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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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würdest. «
    Ich erwiderte sein Lächeln und nutzte meinen Vorteil. » Und, was denkst du? «
    » Du hast recht, was die Verners angeht « , sagte er. » Nur war die Situation damals eine andere. «
    » Inwiefern anders? « Ich war entschlossen, mich nicht von meinem Vorhaben abbringen zu lassen.
    » Die Hugenotten waren Handwerker – unter anderem Weber und Seidenzwirner. England brauchte ihre Kenntnisse, ihre Arbeitskraft. Es gab gute wirtschaftliche Gründe, sie ins Land zu lassen. «
    » Aber wenn wir ihnen keine Zuflucht geboten hätten, was dann? Sie wären wahrscheinlich ums Leben gekommen wie viele andere, die sich nicht in Sicherheit bringen konnten oder wollten. Zumindest hätten sie völlig entrechtet leben müssen. Wo wäre unsere Familie wohl heute? «
    » Sieh mal, Lily, ich verstehe ja, was du sagen willst. Allerdings glaube ich immer noch daran, dass es nicht zum Schlimmsten kommt und dieser Hitler in die Schranken gewiesen werden kann. Und dann werden die Deutschen hoffentlich endlich begreifen, dass sie sich von diesem gefährlichen Wahnsinnigen selbst befreien müssen. In diesem Moment erübrigt sich auch das ganze Problem mit den Kindern. Sie können zu ihren Familien zurück, wo sie ohnehin am besten aufgehoben sind. «
    » Natürlich hast du recht « , räumte ich ein. » Doch was passiert mit ihnen in der Zwischenzeit? Kannst du dir vorstellen, wie es sein muss, in diesem Ferienlager festzusitzen? «
    Er stopfte seine Pfeife und erweckte sie paffend zum Leben. Schließlich sagte er: » Überlass es mir. Ich werde noch einmal darüber nachdenken. Vielleicht spreche ich mit Jim und Gwen und bitte sie, sich unter der Belegschaft einmal umzuhören, was unsere Leute darüber denken. «
    » Danke. « Ich umarmte ihn und atmete seinen tröstlichen Duft nach Old Virginia und Haarwasser ein.
    » Aber ich verspreche nichts « , sagte er und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. » Und jetzt lauf zu deiner Mutter und hilf ihr bei den Vorbereitungen für das Abendessen. Ich habe noch zu tun. «
    Der Plan funktionierte wie erhofft. Beim Mittagessen am Sonntag verkündete Vater beinahe triumphierend, dass unser Betriebsleiter Jim Williams sich einverstanden erklärt habe, drei neue Lehrlinge je nach Neigung als Weber, Anzettler oder Seidenzwirner einzustellen.
    John, der gerade eine volle Gabel zum Mund führen wollte, hielt in der Bewegung inne und schaute mich verwundert an. » Wie kommt das denn? « , las ich von seinen Lippen ab. » Erzähl ich dir später « , antwortete ich genauso stumm. Wir beherrschten beide inzwischen diese im Lärm der Weberei unerlässliche Verständigungsform perfekt.
    » Wir können sie allerdings nicht gleich abholen « , sagte Vater. » Ich muss die ganze nächste Woche in die Stadt. «
    John legte sein Besteck auf den Teller. » Kein Problem. Lily und ich übernehmen das an deiner Stelle « , sagte er. » Wir fahren hin und suchen drei aus. Falls es dir recht ist. «
    » Bitte, Vater, lass uns fahren « , bettelte ich. » Ich halte es nicht aus, wenn ich daran denke, wie sehr diese Kinder warten. Nicht dass sie am Ende nach Deutschland zurückgeschickt werden, weil niemand sie abholt. «
    Vater dachte eine Weile nach und meinte dann: » Ich werde mich mit Jim besprechen. Er soll entscheiden, ob er sich die Jungs selbst anschauen will oder ob er es euch überlässt. « Von der anderen Seite des Tisches gab mir John ein verstohlenes Daumen-hoch-Zeichen. » Wir wollen Jungen, denkt daran « , sagte Vater mit fester Stimme. » Höchstens drei. Kräftige Jungs, die ordentlich zupacken können. «
    Es war ein trüber Tag, als wir mit dem rostigen Fabriklieferwagen zu dem Ferienlager fuhren. Wolken hingen wie feuchte Bettlaken über den flachen Feldern von Essex, und als wir die Küste erreichten, sahen wir bloß noch Grau in Grau, denn die Farben des Marschlands verschwammen mit denen der aufgewühlten Nordsee.
    Die Straße kam mir vertraut vor. War dies etwa derselbe Ort, dasselbe Feriencamp, wo ich als Kind mit der Familie einer Freundin einen Urlaub verlebt hatte? Vermutlich ja, denn je näher wir unserem Ziel kamen, desto mehr Erinnerungen kehrten zurück. Der Urlaub war ein Desaster gewesen. Ich litt unter Heimweh und hatte, was alles noch schlimmer machte, entsetzliche Angst vor dem rothaarigen Clown in seinem Harlekinkostüm, der jeden Morgen nach dem Frühstück zwischen den Blockhütten umherlief, um uns für die vormittäglichen Spiele abzuholen. Er erinnerte mich

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