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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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ordentlich auf einem Silbertablett und reichte sie herum.
    » Um nicht länger um den heißen Brei herumzureden « , sagte John, nahm sein Glas und leerte es in einem Zug. » Wir haben ein großes Haus, und wir können es uns leisten. Warum nehmen wir nicht ein paar dieser bedauernswerten Kinder auf? «
    Vater brachte das Tablett zum Sideboard zurück und stellte es vorsichtig ab, bevor er sich wieder zu uns umdrehte. » Wie genau stellst du dir das vor? Wie könnte das deiner Meinung nach konkret aussehen? « , fragte er in diesem uns wohlbekannten, extrem ruhigen Tonfall, den er immer in heiklen Situationen anschlug. » Wir drei sind den ganzen Tag in der Fabrik. Und es erscheint mir indiskutabel, dass eure Mutter sich allein um einen Haufen fremder Kinder kümmert. «
    » Aber wir können dieses Elend auch nicht einfach ignorieren « , sagte John und reckte die Schultern. » Ich jedenfalls nicht. «
    Während der Alkohol meine Kehle hinabrann und meinen Magen wärmte, kämpfte ich mit widerstreitenden Gefühlen. Das Letzte, was ich wollte, war ein Haus voller lärmender Kinder, doch andererseits verstand ich John. Es war nicht richtig, nichts zu tun. Die Augen zu verschließen, als ginge uns das nichts an. » Wie alt sind sie, sagtest du noch mal? « , fragte ich.
    » Fünf bis siebzehn « , sagte John.
    Mir kam eine Idee. » Und wenn wir ein paar von den Älteren aufnähmen? «
    » Sprich weiter! « John setzte sich neben mich aufs Sofa.
    » Wir sollten ihnen eine Unterkunft in der Nähe beschaffen, wo sie für sich wären, aber mit allen Problemen zu uns kommen könnten. Wir hätten ein Auge auf sie und stünden zur Verfügung, wenn sie Rat oder Hilfe brauchen. « Ich dachte krampfhaft nach, wie ich Vater für Johns Idee gewinnen konnte. » Wie wäre es mit dem leer stehenden Cottage unten an der Straße? Es ist zu mieten. «
    » Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen, Lily « , sagte Vater. » Eine Unterkunft schafft das Problem nicht aus der Welt. Was sollen die Jugendlichen deiner Meinung nach den ganzen Tag tun? Und schließlich: Wovon werden sie leben? Ich mag mich nicht in diesen unsicheren Zeiten unbegrenzt verpflichten, für sie aufzukommen. «
    Mir kam eine rettende Idee. » Warum können wir ihnen keine Jobs in der Fabrik geben? Weber fangen schließlich direkt nach der Schule an, mit fünfzehn etwa. « John nickte zustimmend, Vater nicht. Ihm reichte es langsam.
    » Ihr seid Traumtänzer, alle beide « , dröhnte er los und sprang auf. » Natürlich ist es hart für die Juden, das weiß ich auch. Aber ihr solltet eines nicht vergessen, falls ihr es überhaupt schon gemerkt habt: Bei uns laufen die Geschäfte derzeit nicht sonderlich gut. Wir können uns nicht einfach neue Jobs mit zusätzlichen Lohnkosten aus den Rippen schneiden. Wir müssen in erster Linie an unsere eigene Belegschaft denken. Über eine Spende an die Organisation ließe sich nachdenken. Doch so mir nichts, dir nichts einen Haufen nicht ausgebildeter Jungs in der Fabrik aufnehmen … nein, das kann nicht zur Diskussion stehen. Hört also bitte mit euren Überredungsversuchen auf! «
    Er wandte sich an Mutter. » Ist das Abendessen fertig, meine Liebe? «
    John blickte finster, und wir verhielten uns beide ruhig. Das Gespräch war beendet, zumindest für den Augenblick. Trotzdem war ich überzeugt, dass wir Vater mit der Zeit umstimmen würden. Er musste nur den Eindruck gewinnen, dass er alles unter Kontrolle hatte und die Idee von ihm stammte. Dazu war eine subtilere Vorgehensweise nötig.
    Zwei Tage später lauerte ich ihm in seinem Arbeitszimmer auf. » Kann ich bitte kurz mit dir reden? «
    » Komm herein « , sagte er und blickte von seiner Zeitung auf.
    Über dem Kamin hing der Stammbaum der Familie Verner, mit verschnörkelter Handschrift auf verblichenes Papier gezeichnet und mit einem vergoldeten Rahmen versehen. Ich kannte ihn beinahe auswendig. Ganz oben stand der Gründer der Manufaktur: Joseph Verner, Seidenweber (1662 – 1740), geb. Spittle Fields, verh. mit Mary (1684). » Die Verners waren doch immer stolz auf ihre hugenottische Abstammung, oder? « , sagte ich.
    Er runzelte die Stirn, denn mein plötzliches historisch-genealogisches Interesse überraschte ihn.
    » Sie waren Einwanderer, nicht wahr? Flohen vor staatlicher Verfolgung. «
    Sein Stirnrunzeln wich einem nachsichtigen Lächeln. » Es geht um die jüdischen Kinder, nicht wahr, mein Schatz? Gib’s zu! Ich wusste, dass du es nicht auf sich beruhen lassen

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