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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Deutschland, und sprach von einer Weltverschwörung des Judentums. Deshalb müssten sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden und am besten aus dem Land verschwinden. Damals wurde, wie wir von den Fischers in Wien wussten, eine freiwillige Ausreise unter Zurücklassung aller Vermögenswerte propagiert. Was später geschah, wurde dann nicht mehr öffentlich ausgesprochen.
    Eines Abends saßen wir, nachdem wir gerade die neuesten Einschätzungen der BBC gehört hatten, vor dem Kamin und warteten darauf, dass John von einem Geschäftstermin in London zurückkehrte. Die Holzscheite knackten, und die Funken sprühten. Vater rückte den Kaminschirm zurecht und lehnte sich wieder in seinem Lieblingssessel zurück. » Mehr Spucke als Hitze, diese Weidenscheite « , brummte er. » Wie dieser verrückte Hitler. «
    Ich wollte nicht an Hitler denken. Meine Gedanken waren auf das Abendessen gerichtet – der köstliche Geruch nach Ofenkartoffeln ließ meinen Magen knurren. Als John endlich kam, umweht von eisiger Winterluft, ging er schnurstracks zum Kamin und rieb sich die frostkalten Hände. Sein Anzug war zerknittert, an seinem Hemd fehlte der oberste Knopf. Mutter rief aus der Küche: » Das Abendessen ist fertig, meine Lieben. «
    » Kann ich mich bitte erst einen Moment aufwärmen? « , fragte John. » Es war heute Nacht verdammt kalt in dem Zug. Sind direkt hinter London ewig lang aufgehalten worden. « Er stand vor dem Kamin mit dem Rücken zum Feuer und rieb sich sein Hinterteil.
    » Hast du die Nachrichten gehört? « , fragte Vater.
    » Nein « , antwortete John. » Was ist es denn diesmal? « Vater fasste den Tagesbericht zusammen.
    » Immer neue Ausreden für immer weitreichendere Pogrome, und wir alle stehen dem machtlos gegenüber « , warf ich ein.
    » Also, genau darüber wollte ich mit euch reden. Ich habe nämlich eine Idee, wie wir etwas tun können. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein sicher, aber immerhin eine kleine Hilfe « , sagte John, und man spürte, wie ernst es ihm war.
    » Na, dann mal los! Raus mit der Sprache « , forderte ich ihn ungeduldig auf.
    » Während der Zug aufgehalten wurde, unterhielt ich mich mit einigen Burschen in meinem Abteil « , fing John an. » Sie redeten über jüdische Kinder, die nach England kommen – die jüdische Gemeinde hier hat bei Chamberlain eine Lockerung der Einreisebestimmungen durchgesetzt. Etwa zehntausend Kinder sollen es sein, bis zum Alter von achtzehn Jahren. Die jüdische Gemeinde hat sich verpflichtet, für alle Umsiedlungs- und Reisekosten aufzukommen, aber hier im Land sucht sie dringend Gastfamilien für die Kinder. Es soll demnächst öffentliche Aufrufe geben, die um Unterstützung dieser Aktion ›Kindertransport‹ bitten. «
    John begann ruhelos vor dem Kamin auf und ab zu gehen. » Die Lage ist inzwischen wirklich verzweifelt « , fuhr er fort. » Die Juden in Deutschland werden systematisch schikaniert, ihre Geschäfte boykottiert, ihre Synagogen teilweise geschlossen. In vielen Berufen dürfen sie nicht mehr arbeiten. Auch von Verhaftungen und Einweisungen in Arbeitslager ist bereits die Rede. Öffentliche Schulen und Universitäten sind für Juden nicht mehr zugänglich. Kein Wunder, dass viele Eltern versuchen, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen, obwohl das bestimmt ganz schrecklich ist. Die armen Kleinen, die da in eine ungewisse Zukunft geschickt werden. Und keiner weiß, wie lange es dauert. «
    » Wie kommen die Kinder denn hierher? « , fragte ich.
    » Die Züge fahren nach Holland, und von dort geht es mit der Fähre nach Harwich. «
    » Was passiert mit ihnen hier in England? «
    » Es haben sich wohl schon eine Menge Familien gemeldet, die ein Kind aufnehmen wollen. Aber leider noch nicht genug. Außerdem soll es vorgekommen sein, dass einige Leute es sich kurzfristig anders überlegen. « John blieb jetzt stehen und schaute bedächtig erst Vater und dann Mutter an. » Alle, die irgendwie in der Luft hängen, für die es also keine Anlaufstelle gibt, werden erst mal in irgendwelche Ferienlager gesteckt. Eines davon liegt in Essex. «
    Das Bild von Kindern in einem fremden Land, von niemandem gewollt, vertrieb meinen Hunger. Johns Stimme klang jetzt fest und bestimmt. » Ich möchte unbedingt etwas tun. Was haltet ihr davon? «
    » Sherry? « , fragte Vater. Er mochte es nicht, zu Entscheidungen gedrängt zu werden. Obwohl niemand antwortete, ging er langsam zum Sideboard hinüber, schenkte vier Gläser ein, arrangierte sie

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