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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Papierstapel auf dem Tisch beiseite, um Platz für das Tablett zu schaffen.
    » Wir machen das hier alle ehrenamtlich und leben von der Hand in den Mund, um es vorsichtig auszudrücken. Natürlich haben wir ein Wahnsinnsglück, dass man uns das Camp unentgeltlich überlässt. Vermutlich auch nur, weil der Boss Jude ist – Verbindungen helfen bekanntlich immer weiter. Ansonsten sind wir völlig auf Spenden angewiesen, nur haben die Leute im Moment eher anderes im Kopf, als ein paar jüdischen Kindern aus Deutschland zu helfen. «
    Er seufzte. » Wir tun für die armen kleinen Kerle, was wir können. Die meisten haben Familien gefunden, aber die hier hatten bislang kein Glück. Viele von ihnen leiden unter einem doppelten Trauma. Erst schickten die Eltern sie weg, was die Kleineren nicht wirklich verstehen, und jetzt will sie keiner. Sehr bitter. Verdammt scheußlich sogar, wenn Sie diese Ausdrucksweise entschuldigen wollen, Miss Verner. «
    Ich legte meine kalten Finger um den heißen Becher und versuchte mir vergeblich vorzustellen, wie es in diesen Kindern aussehen mochte. Besonders für die jüngeren musste es ganz schrecklich sein, weil sie den Grund nicht begriffen. Was wussten die schon von Hitler und den Nazis? Ich glaube, es gab keine Worte, um ihr Elend auch nur annähernd zu beschreiben.
    » Ich war letztes Jahr in Österreich « , sagte John, » und habe gesehen, was passiert ist. «
    Leo schüttelte traurig den Kopf. » Es ist inzwischen noch viel schlimmer geworden. «
    » Ich hatte befürchtet, dass es so kommen würde « , sagte John. » Deshalb wollten wir etwas tun, als wir von den Kindern erfahren haben. «
    » Sehr, sehr freundlich von Ihnen « , sagte Leo schlicht und griff nach seinem Kaffeebecher. » Und wie können Sie uns konkret helfen? «
    » Unsere Familie betreibt eine Seidenmanufaktur in Westbury. Kennen Sie vielleicht, liegt ungefähr dreißig Meilen von hier entfernt « , fing John an.
    » So, so, Seide? Wie interessant « , sagte Leo und hörte aufmerksam zu.
    » Wir wären bereit, drei von Ihren Jungs als Lehrlinge einzustellen « , fuhr John fort. » Sie sollten so um die sechzehn, siebzehn Jahre alt sein und außerdem über eine gute Auffassungsgabe und geschickte Hände verfügen, denn die Seidenweberei ist ein ausgesprochen anspruchsvolles Handwerk. «
    » Und selbstständig und zuverlässig müssten sie sein « , fügte ich hinzu. » Sie werden nämlich in einem eigens für sie angemieteten Cottage wohnen und sollten also in der Lage sein, teilweise alleine zurechtzukommen. «
    Leo lehnte sich zurück und kratzte sich die spärlichen Haare. » Das ist Musik in meinen Ohren, wissen Sie. Die meisten Leute wollen jüngere Kinder, am liebsten Mädchen. Sie glauben, die Kleineren würden weniger Mühe machen, obwohl sie damit meiner Meinung nach nicht richtigliegen. Die älteren Jungen hingegen werden übersehen, und es ist schwierig, sie überhaupt unterzubringen. «
    Er dachte einen Moment nach und sagte dann: » Okay, drei kämen infrage. Allen voran Stefan. Er ist älter als die meisten und, unter uns gesagt, vermutlich sogar über achtzehn. Also eigentlich jenseits des Grenzalters. Aber laut seinen Papieren, die uns vorlagen, ist er siebzehn, und wer sind wir schon, das in einer solchen Situation anzuzweifeln? Er weiß genau, was drüben in Deutschland passiert, und warum sollten wir ihm zusätzliche Probleme bereiten. Ich weiß nichts Konkretes über seinen familiären Hintergrund, doch wie er redet, ist er gescheit und scheint bislang eine gute Bildung genossen zu haben. «
    » Klingt genau richtig « , sagte ich.
    Nach einer kleinen Pause redete Leo weiter. » Stefan hat sich mit zwei Brüdern angefreundet, Kurt und Walter. Ebenfalls nette Burschen. Kurt ist siebzehn, Walter allerdings erst fünfzehn. Ist das zu jung? «
    » Hängt von dem Jungen ab « , meinte John skeptisch. » Was denken Sie über seine Reife? «
    » Schwer zu sagen, wenn ich ehrlich sein soll « , antwortete Leo. » Nur können wir sie unmöglich trennen, und einen Platz für beide gemeinsam zu finden, ist so gut wie aussichtslos. Deshalb war ich über Ihre spezielle Anfrage sehr froh. Walter ist zwar noch ein kleiner Kerl, aber ich nehme an, dass er sich bald entwickeln wird. Zudem tut er alles, was sein Bruder ihm sagt. Und Kurt ist wie Stefan ein ziemlich reifer, vernünftiger Bursche. Sehen Sie sich die drei doch einfach mal an und machen sich selbst ein Bild. «
    Wie konnten wir da Nein sagen?
    »

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