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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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mich nie so gelobt hatte, jedenfalls nicht öffentlich.
    » Du solltest besser aufpassen, sonst wird er dir bald etwas beibringen « , lachte ich und versuchte meine Verärgerung zu überspielen.
    » Darauf freue ich mich. Er ist ein sehr höflicher, charmanter junger Mann. Tiefsinniger als die beiden anderen. Hat eine künstlerische Ader. Meinst du nicht? «
    » Das weißt du vermutlich besser als ich – Kunst ist schließlich dein Metier « , sagte ich. Es machte mir ernstlich zu schaffen, dass sie ihn nicht nur lobte, sondern auch bewunderte. » Wolltest du mir nicht mal irgendwann von der Kunsthochschule erzählen? « , fügte ich vermittelnd hinzu.
    » Du solltest gelegentlich zum Tee bei mir vorbeischauen, dann tue ich es vielleicht. «
    » Das versprichst du andauernd. « Ich hatte dieses Thema in den vergangenen Wochen so oft vergeblich angesprochen, dass ich mich schon nach dem Grund für ihre Zurückhaltung zu fragen begann. Mochte sie mich einfach nicht genug, um sich privat mit mir zu treffen? Oder gab es da etwas, was sie vor mir lieber geheim halten wollte? Gwen war und blieb mir ein Rätsel.
    Als wir unsere Runde beendet hatten und uns am Eingangstor verabschiedeten, berührte sie mich wie immer ganz leicht an der Schulter. » Schönes Wochenende. «
    Obwohl die Jungen inzwischen im Cottage wohnten, kamen sie sonntags regelmäßig zum Mittagessen.
    » Wir müssen auf ihre Manieren achten « , fand Vater. » Sonst werden sie in ihrem Männerhaushalt im Nu zu Wilden. Gute Umgangsformen sind wichtig, vor allem in England. «
    Mutter war es nur wichtig, dass es den Jungs schmeckte. Sie lebte auf, wenn sie beobachtete, mit welcher Freude die drei sich über ihr gutes Essen hermachten. Meist war es der traditionelle Sonntagsbraten mit allem Drum und Dran. Vater war allerdings nicht ganz im Unrecht, denn insbesondere die beiden Brüder brauchten Nachhilfe in Sachen Tischmanieren. Hinzu kam, dass die bekanntermaßen nicht in allen Ländern gleich waren. Kurt und Walter jedenfalls hatten bisweilen ihre liebe Not: Sie verwechselten das Besteck, schlürften beim Trinken, stützten die Ellenbogen auf den Tisch. Zunächst war Vater nachsichtig, aber nach ein paar Wochen hagelte es strenge Ermahnungen: » Mit vollem Mund wird nicht geredet! « Sie lernten langsam, und mehr als einmal musste er ihnen drohen: » Wenn ihr nicht sofort die Ellenbogen vom Tisch nehmt, gibt es kein Mittagessen mehr für euch. « Walter kicherte, und Kurt, eher rebellisch veranlagt, zog eine Grimasse. Trotzdem fügten sie sich, weil beide nicht auf die sonntäglichen Einladungen verzichten mochten.
    Stefan brauchte solche Ermahnungen nicht. Seine Manieren waren tadellos, und die Besonderheiten der englischen Etikette eignete er sich schnell an. Nachdem er die alten Sachen, die Lederjacke und die schwarze Hose, gegen modische Cordhose, schicken Pulli und Jackett eingetauscht hatte, sah er fast wie ein Engländer aus – von der Frisur abgesehen, denn entgegen dem Modetrend bestand er auf seinen langen Haaren. Allerdings blieb er trotz partieller Anpassung anders als alle jungen Männer, die ich kannte.
    Langsam ging mir auf, dass er gar nicht schüchtern war. Wenn er schwieg, drückte sich darin nicht Unsicherheit, sondern ein hohes Maß an Selbstbewusstsein aus. Stefan schien es zu lieben, die Welt um sich herum zu beobachten und sich seine eigene Meinung zu bilden. Er wirkte immer so überlegen, als könne ihm niemand etwas vormachen, und auch ein wenig amüsiert, als stünde er über den Dingen. Seine Augen schauten wissend, und ich gewann den Eindruck, dass ihnen nur wenig entging. Bei dem Gedanken überlief mich ein merkwürdiger Schauder.
    An einem dieser Sonntage gab mir Stefan mit einem seiner seltenen Lächeln meine Ausgabe von Der Hund von Baskerville zurück.
    » Es hat mir sehr gut gefallen, Miss Lily « , sagte er, und seine dunklen Augen funkelten. » Ich wäre gerne ein perfekter englischer Gentleman wie Ihr Sherlock Holmes. « Er brachte mich zum Lachen, indem er einen imaginären Hut lüpfte und einen ebenso imaginären Regenschirm herumwirbelte, um sich anschließend tief zu verneigen. Stefan, der Clown – das war eine Seite seines Charakters, die ich bislang nicht kannte.
    In nur zwei Monaten war sein Englisch so gut geworden, dass ich mein Vorhaben, mich seinetwegen mit Deutsch abzumühen, aufgegeben hatte. Es überraschte mich, wie schnell er lernte und bereits auf Englisch lesen konnte. Mittlerweile hatte er schon

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