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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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überprüft die erneut. Mach dir keine Sorgen, mein Liebling « , sagte ich und küsste ihn zärtlich. Damals glaubte ich noch, was ich sagte.
    Doch meine optimistischen Beteuerungen erwiesen sich schon bald als leere Versprechen. Es dauerte nicht lange, und die Zeitungen berichteten über ein neues Gesetz, das in Vorbereitung sei und die Voraussetzung dafür schaffen sollte, dass alle deutschen und österreichischen Männer über zwanzig Jahre sich als » feindliche Ausländer « registrieren lassen mussten. Kurt und Walter waren aufgrund ihres Alters nicht davon betroffen, Stefan offiziell ebenfalls nicht. Nur was geschah, wenn sein wahres Alter durch Zufall oder gezielte Denunziation herauskam? Diese Sorge ließ ihn nicht mehr los, und Erinnerungen an seine Festnahme und den Gefängnisaufenthalt in Deutschland kehrten mit Macht zurück. Ich drängte ihn, darüber zu reden, aber er weigerte sich.
    Es wurde immer schlimmer. An der Westfront befanden sich die Alliierten in einer aussichtslosen Lage, und im ganzen Land begann sich die antideutsche Stimmung wie ein Krebsgeschwür auszubreiten.
    Ich versuchte nicht daran zu denken: Stefan und die beiden anderen arbeiteten jetzt seit über einem Jahr in der Fabrik und schienen mit allen gut auszukommen. Deshalb wollte ich es auch nicht wahrhaben, dass irgendjemand ihnen misstrauen könnte – ich war blind gegenüber der Realität.
    Dann, ich holte gerade das Teetablett fürs Büro aus der Kantine, fiel mir auf, dass Kurt und Walter nicht wie üblich mit Bert und den Mechanikern zusammensaßen und Stefan nicht mit den Webern, sondern alleine an einem Tisch hockten. Seltsam, dachte ich, vergaß die Sache aber wieder.
    Ein paar Tage später wusch ich mir gerade die Hände, als ich das Gespräch zweier Frauen im Toilettenraum mit anhörte. » Das leuchtet mir ein « , sagte eine, » wir sollten keinem von denen vertrauen. « Von der Antwort bekam ich wegen der einsetzenden Spülung bloß das Wort » Fallschirmseide « mit. Zwar wusste ich nicht mit absoluter Sicherheit, worüber sie genau sprachen, und dennoch lief es mir kalt den Rücken herunter. Weil ich wissen wollte, wer es war, versteckte ich mich vor dem Waschraum hinter einem Regal und wartete, dass sie herauskamen. Nach einer Weile tauchten sie auf: zwei ältere Weberinnen, die ihr ganzes Leben lang für Verner’s gearbeitet und die drei jungen Deutschen anfangs sehr bemuttert hatten. Die konnten doch nicht einen solchen Sinneswandel durchgemacht haben? Sie mussten sich über etwas anderes unterhalten haben, redete ich mir ein.
    Nur zwei Wochen später wurde ich eines Besseren belehrt und hörte endgültig auf, den Kopf in den Sand zu stecken und weiter nur das Gute bei den Menschen von Westbury zu vermuten. Über der Eingangstür zum Cottage der Jungen hatte ein aufrechter Brite mit roter Farbe eine fast unleserliche Schmiererei hinterlassen. Aus der Nähe betrachtet, waren die hasserfüllten Worte allerdings deutlich zu entziffern: Verpisst euch, Judenpack!
    Wir riefen die Polizei, und kurz darauf erschien ein korpulenter Mann auf einem Fahrrad, das viel zu leicht für ihn war. » Constable Kilby, Polizeidienststelle Westbury « , sagte er keuchend, als er das Rad an die Wand lehnte und seinen Helm abnahm. Er blickte auf die Tür und las stumm den beschämenden Satz, schüttelte den Kopf. » Das ist eine üble Angelegenheit, Sir. Ich nehme an, diese Jungs arbeiten in der Fabrik? «
    Vater nickte. » Das ist korrekt, Constable. Wollen wir hineingehen? «
    Wir drängten uns zu sechst in das kleine Wohnzimmer. » Also, wer von euch will mir erzählen, was hier los ist? « , fragte der Beamte ernst.
    Kurt und Walter stießen Stefan an.
    » Fang ganz von vorne an, Junge. Und lass nichts aus. «
    » Vor ein paar Nächten hörten wir ein Krachen « , begann Stefan und blickte auf seine Füße. » Ein Stein war durchs Fenster geworfen worden, eingewickelt in einen Zettel. «
    » Ein Stein? Ein Zettel? « Warum hatte er das nicht erwähnt?
    » Und auf dem Papier stand etwas. «
    » Und was? Junge, lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen. « Der Constable runzelte die Stirn und wischte sich übers Gesicht.
    » Da stand … « Stefan räusperte sich. » Da stand: Krauts, geht nach Hause . «
    Unwillkürlich stöhnte ich laut auf.
    » Und dann heute Morgen die Schmiererei. « Stefan deutete in Richtung Eingangstür.
    » Habt ihr den Zettel noch? « , fragte Kilby.
    » Wir haben ihn verbrannt « , sagte

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