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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Fest, weil John und Vera ins Kastanienhaus kamen.
    Mein Bruder hatte ein paar Tage Fronturlaub bekommen, und Vera nahm an Heiligabend den letzten überfüllten Zug aus London, musste die ganze Fahrt über stehen. Beide waren erschöpft und redeten nicht viel – John nicht über seine Einsätze und Vera nicht über die Bombenangriffe, die sie in London miterlebte. Wenn sie sich bei ihren Eltern aufhielt, schlief er meistens.
    Deshalb zog auch ich mich in mein Zimmer zurück, legte mich ins Bett, fest in eine Decke eingewickelt, und las immer wieder die drei kostbaren Luftpostbriefe, die ich von Stefan inzwischen erhalten hatte – die einzigen Verbindungen zu dem Mann, der all meine Gedanken beherrschte. Wenigstens war er in Sicherheit da unten in der australischen Wüste, weit weg vom Krieg und den Nazis, und dennoch riss seine Abwesenheit eine schmerzhafte Lücke in mein Leben.
    Wir waren froh, als Weihnachten vorbei war, denn uns allen fiel es schwer, so zu tun, als würden wir uns amüsieren. Lieber wendeten wir uns wieder unserer Arbeit zu. Bald bereuten wir es allerdings, nicht jeden einigermaßen unbeschwerten Augenblick des Zusammenseins bewusster genossen zu haben.
    Ein paar Tage später weckte uns früh am Morgen das Klingeln des Telefons. Ich traf Vater, noch im Pyjama, auf dem Treppenabsatz. » Geh wieder ins Bett, ich nehme ab « , sagte ich, ging nach unten und wickelte meinen Morgenrock gegen die Winterkälte fest um mich.
    Die Frau am anderen Ende der Leitung klang aufgeregt. » Ist da Grace? «
    » Nein, Lily. Wer spricht denn? «
    » Beryl. Aus London. «
    » Natürlich. Guten Morgen, Beryl « , sagte ich beklommen und ahnte Schlimmes.
    » Haben Sie die Nachrichten gehört? «
    » Nein, noch nicht. « Ich schaute auf die Standuhr. Es war zehn nach sieben.
    » Ist Harold wach? Ich muss mit ihm reden. Es hat einen schrecklichen Bombenangriff gegeben. Es heißt, die Cheapside sei getroffen worden. « Ich ließ mich auf den Stuhl neben dem Telefontischchen sinken, um Luft zu holen. Das könnte eine Katastrophe bedeuten. In der Londoner Niederlassung befand sich nicht nur die eigentliche Verwaltung, sondern dort lagerten auch sämtliche Kundenkarteien und Geschäftsunterlagen sowie eine einzigartige Musterkollektion von Seiden – Proben aller Stoffe, die im Verlauf des zweihundertjährigen Firmenbestehens von Verner’s & Sons je hergestellt wurden.
    Vater kam in seinem Morgenrock mit rotem Paisleymuster die Treppe herunter. » Wer ist dran? «
    » Beryl. Möglicherweise ist das Haus in der Cheapside bombardiert worden. «
    Er nahm den Hörer und sprach ruhig hinein. » Beryl, guten Morgen. Hier spricht Harold. « Während er zuhörte, wurde sein Gesicht aschfahl.
    » Haben Sie sonst noch jemanden angerufen? Die Polizei? « Ich konnte ihre Antwort nicht hören.
    » Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Ich mache mich gleich auf den Weg. « Dann etwas bestimmter: » Nein, Beryl, Sie werden ganz bestimmt nicht dorthin gehen. Ich übernehme das. Bleiben Sie zu Hause, und ich rufe Sie an, sobald ich Näheres weiß. «
    Er legte den Hörer behutsam auf die Gabel und drehte sich zu Mutter und mir um, wobei er sich mit einer Hand auf dem Telefontischchen abstützte. » Es sieht nicht gut aus « , sagte er. » Beryl weiß nicht mehr als das, was sie im Radio gebracht haben. Ein schwerer Bombenangriff – der größte bisher, sagen sie – direkt auf die City. Die Cheapside wurde genannt und ein Dutzend weiterer Straßen. Beryl hat versucht, die Polizei zu erreichen, aber niemand geht dort ans Telefon. « Er sah auf seine Uhr. » Wenn ich mich beeile, schaffe ich noch den Zug um acht Uhr dreißig. «
    » Du brauchst ein warmes Frühstück, bevor du fährst, mein Lieber. «
    » Keine Umstände, Grace. Tee und Toast reichen. « Als er sich umdrehte, um die Treppe hinaufzugehen, ließ er die Schultern hängen, und sein sonst so fester Schritt kam mir schleppend und müde vor.
    » Ich fahre mit dir « , sagte ich.
    » Ich bin mir nicht sicher, Lily. Es könnte unangenehm werden. «
    » In diesem Fall wirst du mich erst recht brauchen. «
    Er zögerte, nickte dann zustimmend. » Also gut, aber zieh dich warm an, Liebes. «
    Beim Frühstück lauschten wir den Nachrichten der BBC – nichts als unheilvolle Meldungen:
    » Über dreißig deutsche Bomber wurden während der Luftangriffe auf London in der vergangenen Nacht abgeschossen. Die Angriffe dauerten mehrere Stunden, und Brandbomben verursachten

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