Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
Vom Netzwerk:
mir anvertraut hatte, zu öffnen, aber ich tat es nicht. Wollte es beschützen und hüten mit seinen Geheimnissen und Erinnerungen, die sich darin verbargen, bis er zu mir zurückkehrte. Irgendwie fürchtete ich, den Zauber zu brechen, indem ich hineinschaute.
    Ich wünschte mir so sehr, ihn sehen und halten zu können, hasste die Tausende Meilen, die zwischen uns lagen. Manchmal wusste ich vor lauter Sehnsucht nicht ein und aus. Jeden Abend, bevor ich einschlief, las ich seine Briefe, wiederholte immer wieder meine Lieblingssätze wie ein Mantra und ließ mich von ihnen trösten.

Kapitel 16
    Experimente mit Kunstfasern vor und während des Zweiten Weltkriegs führten zur Produktion von Fallschirmstoffen aus Nylon, die mit der Zeit breitere Verwendung fanden, vor allem unter Fallschirmjägern und für Lastenabwürfe. Doch Seide blieb weiterhin das Material erster Wahl unter den Piloten und Mannschaften von Kampfflugzeugen, weil sie sich so klein zusammenfalten ließ und sofort ihre ursprüngliche Form wieder annahm.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Wir stellten für Mutter eine Tageshilfe ein, damit ich für ein paar Stunden täglich zurück an die Arbeit konnte. Sie blieb weiter in ihrem Zimmer, stand nicht auf, zog sich nicht an und duldete es nicht einmal, dass die Vorhänge aufgezogen wurden.
    Als ich ihr vorschlug, nach draußen zu gehen, den Sonnenschein zu genießen, sagte sie: » Was gibt es schon zu sehen? Nur noch mehr Erinnerungen – das ertrage ich nicht. «
    Für Mutter mochte es vielleicht am besten sein, sich ganz ihrer Trauer hinzugeben, sie ungehemmt auszuleben, mir hingegen tat die Abwechslung gut. Es lenkte mich ab, jeden Tag wieder in der Fabrik zu sein, und ich merkte, wie meine Kraft mit der Normalisierung des Alltags zurückkehrte. Obwohl Vater mir natürlich an allen Ecken und Enden fehlte. Ich ließ sein Büro unangetastet, betrat es nicht einmal. Wie ein Kind schuf ich mir eine Illusion, um die Realität zu verdrängen. Zumindest manchmal, wenn ich mir verzweifelt wünschte, er würde jeden Moment zur Tür hereinkommen.
    » Cocktailstunde « , kündigte John eines Nachmittags nach der Arbeit an. » Kommt in den Salon, beide, ich muss mit euch reden. « Gwen und ich saßen auf dem Sofa, während er die Drinks zubereitete. Als er mit dem Tablett in der Hand auf uns zutrat, stutzte ich und glaubte für einen Moment Vater vor mir zu sehen.
    » Lily « , sagte er und reichte mir mein Glas. » Alles in Ordnung mit dir? «
    » Geht schon « , antwortete ich und nahm einen großen Schluck. Gin Tonic erinnerte mich an glücklichere Zeiten. An Zeiten, als ich mich sicher gefühlt hatte. Als ich davon ausgegangen war, beide Eltern lange an meiner Seite zu haben. An Zeiten ohne Krieg.
    » Zum Wohl « , sagte John. » Es ist gut zu sehen, dass es dir besser geht, Schwesterchen. Du scheinst langsam wieder ganz die Alte zu sein. «
    » Danke euch beiden. « Als wir unsere Gläser hoben, war ich völlig unvorbereitet auf das, was als Nächstes kam.
    » Also, ich muss mit euch in einer wichtigen Angelegenheit reden « , sagte John und ließ sich in Vaters Lehnstuhl uns gegenüber nieder. Er kramte in seiner Jackentasche und zog einen Umschlag heraus. » Den hier habe ich heute von meinem Staffelführer erhalten « , sagte er. » Sie wollen wissen, wann ich zurückkomme. «
    Ich war entsetzt. » Du willst doch nicht wieder fliegen? Nicht nach allem, was passiert ist? «
    Er mied meinen Blick und nickte.
    » Das darfst du nicht « , sagte ich fest. » Das kannst du uns nicht antun. Wir brauchen dich hier. Wie sollen wir die Fabrik ohne dich am Laufen halten? «
    » Ihr schafft das schon « , sagte er. » Ihr seid durchaus dazu in der Lage. «
    » Und was ist mit Vera? Ich nehme an, dass sie von der Idee nicht begeistert ist. «
    » Natürlich möchte sie nicht, dass ich gehe « , sagte er. » Ich habe versucht, es ihr zu erklären. Jeder Mann wird gebraucht, denn die planen offenbar eine große Sache. «
    Er wandte sich an Gwen. » Sie und Lily können die Fabrik durchaus gemeinsam leiten, meinen Sie nicht? «
    Ich sah sie an, wartete auf ihre Reaktion, doch sie äußerte sich nicht, weder so noch so. Und an ihrer Miene ließ sich nichts ablesen. » Ziehen Sie mich da nicht rein « , sagte sie. » Das ist eine Sache zwischen Ihnen und Lily. «
    » Zwing Gwen nicht dazu, Partei zu ergreifen « , sagte ich wütend. » Du bist verrückt, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Siehst du

Weitere Kostenlose Bücher