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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Du gehst natürlich « , sagte sie bestimmt. » Das wird die ganz schön durcheinanderbringen, plötzlich eine Frau in ihrer Runde zu sehen. Vor allem die Herren vom Militär. Warte ab, das wird dir sogar Spaß machen. «
    » Und wie nenne ich mich? «
    » Geschäftsführender Direktor, wie sonst « , sagte sie lächelnd.
    » Meine Güte! « Geschäftsführender Direktor. Das klang ebenso beunruhigend wie aufregend. Und vor allem bedeutend. Ich straffte mich, als mir das Versprechen einfiel, das ich Vater gegeben hatte, nachdem John eingerückt war. Alles zu tun, was in meiner Macht stand, um diesen schrecklichen Krieg zu gewinnen und mitzuhelfen, dass John und Stefan und all die anderen heil wieder nach Hause kamen. Mein Entschluss stand fest.
    » Wir müssen den Namen der Firma ändern « , sagte Gwen in diesem Moment, als hätte sie es geahnt.
    » Was meinst du damit? «
    » Wie klingt Verner’s & Sons & Daughter? «
    » Verrückt « , sagte ich lachend. » Aber wenn ich darüber nachdenke: warum eigentlich nicht? «
    Sie umarmte mich. » Es wird alles gut gehen, weißt du. Wir können das schaffen. « Zum ersten Mal fing ich an, ihr zu glauben.
    Ich war nervös wegen des bevorstehenden Treffens, doch es war ein schöner Sommertag, und das hob meine Stimmung. Außerdem hatten die Bombenangriffe auf London ziemlich aufgehört, zumindest vorerst. Dafür kamen jetzt beunruhigende Nachrichten über das unaufhaltsame Vorrücken der Deutschen in Russland und die Eroberungen der mit ihnen verbündeten Japaner im Fernen Osten.
    An diesem Morgen hatte ich in meinem Schlafzimmerspiegel eine junge, dynamische Frau gesehen, sehr geschäftsmäßig gekleidet mit marineblauem Blazer und Bleistiftrock und mit frisch geplätteter weißer Bluse – alles von meinen aufgesparten Kleidungsmarken neu gekauft. Ein sorgfältig aufgetragenes Make-up kaschierte die Narbe in meinem Gesicht, und zudem trug ich inzwischen das Haar länger, sodass die Kieferpartien teilweise verdeckt wurden.
    Ich holte Vaters Krawattennadel heraus, die unsere Firma als Mitglied der Seidenweberinnung auswies, und steckte sie mir an den Jackenaufschlag. Er wäre stolz auf mich, dachte ich. Während der letzten sechs Monate war ich erheblich selbstbewusster geworden und hatte eine Menge gelernt. Jetzt würde ich eine weitere Prüfung bestehen müssen.
    Ich ging hinüber in die Fabrik. » Wie sehe ich aus? «
    Gwen beugte sich vor und zupfte einen losen Seidenfaden von meinem Ärmel, den ich wohl beim Vorbeigehen an einer Webmaschine aufgesammelt hatte. » Sehr smart, Miss Verner. Diese verknöcherten Herren der Schöpfung werden dir zu Füßen liegen. « Sie schnupperte. » Du riechst gut. Chanel No. 5? «
    » Ja, habe ich mir von Mutter geliehen. Wirst du mit ihr zurechtkommen? « Mehr als ein halbes Jahr nach Vaters Tod kam sie nach wie vor nur selten aus ihrem Zimmer. Immer öfter fragte ich mich, ob sie sich jemals völlig erholen würde.
    » Wir kommen zurecht « , sagte Gwen zuversichtlich. » Schau zu, dass du zum Abendessen wieder da bist. Heute gibt es nämlich etwas Besonderes: Fleischpastete. Mal was anderes als die ständigen Karotten und Steckrüben. Und vergiss nicht, dass die neue Staffel von It’s That Man Again im Radio läuft. Vielleicht kann ich Grace ja dazu bewegen, nach unten zu kommen, damit sie es sich mit uns zusammen anhört. Tommy Handley ist so ein witziger Kerl und bringt sie mit Glück zum Lachen. «
    » Du bist ein Schatz « , sagte ich zu Gwen. » Wenn ich das Treffen im Ministerium überlebe, habe ich mir einen Drink verdient. Lass uns eine Flasche Cidre aufmachen, ja? «
    » Klingt gut. Und jetzt ab mit dir. Und mach dir um uns keine Sorgen « , sagte Gwen und verabschiedete mich mit einem leichten Kuss auf die Wange.
    Ich war seit dem Unglück nicht mehr in London gewesen und die Ankunft in der Liverpool Street Station folglich ein schwieriger Moment für mich. Ich musste allen Mut zusammennehmen, aus dem Zug zu steigen und den Bahnsteig hinunterzugehen, ohne ständig an jenen verhängnisvollen Tag zurückzudenken. Vater und ich hatten einander damals angesichts der unglaublichen Zerstörungen Halt gegeben – jetzt war niemand an meiner Seite, der mich aufmunterte. Ich musste es alleine schaffen.
    Obwohl die Zerstörung noch immer allgegenwärtig war, hatte sich einiges getan. Die Trümmerhaufen waren beiseitegeräumt und die Straßen wieder passierbar. Dankbar stellte ich fest, dass die Busse fuhren und mir ein langer

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