Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
sie Isabels Position stärken und die Erfolgschancen vergrößern könnte. Seit Langem wünschte sie sich zum ersten Mal wieder, Dominga wäre bei ihr und könnte ihr einen Rat geben oder sie mit ihren Kräften unterstützen. Doch nach ihrer Auseinandersetzung mit Carrillo war sie abgereist und nicht mehr in seine oder in Jimenas Nähe gekommen.
Zu Anfang war sie froh darüber gewesen. Ihr letztes Gespräch mit ihrer Tante lag ihr noch schwer im Magen, und seitdem grübelte sie häufig. Es kam ihr plötzlich alles so falsch vor. Ihr Eingreifen in den Lauf der Geschichte, ja, vielleicht gar ihre Kräfte selbst. Hatte der Erzbischof etwa recht? Dienten sie, ohne es zu wissen, dem Teufel und seinen höllischen Dämonen? Waren diese Kräfte von Gott nicht gewollt?
Es war ihr, als könne sie Domingas verächtliche Stimme hören.
Oh ja, das wollen die Kirchenmänner uns gern glauben machen! Eine Frau mit Kräften, über die sie nicht verfügen, ja, die sie nicht einmal verstehen – das kann natürlich nur Teufelswerk sein.
Wollte er wirklich gegen Dominga und auch gegen sie selbst vorgehen? Wie waren seine Worte gewesen?
Wer sich in die Hand des Teufels begibt, dessen Seele kann nur mit Feuer gereinigt werden!
Glaubte er etwa, was er sagte? Sah er die weisen Frauen in einer Reihe mit den uneinsichtigen Ketzern, die den Tod auf dem Scheiterhaufen erleiden mussten?
Bilder huschten durch ihren Geist. Flammen brannten in ihrem Gesicht. Sie konnte Schreie hören. Tausende von Schreien, die von den Gequälten und Gemarterten in ganz Europa lodernd zum Himmel aufstiegen.
Jimena stöhnte und schüttelte den Kopf, um die Vision zu vertreiben, von der sie hoffte, dass sie nur ein Albtraum sein möge. Doch tief in ihrem Innern wusste sie es besser. Finsternis zog sich am Horizont zusammen und drohte das Land zu überfluten. Wie konnte das sein? Würde nicht Isabel schon bald auf dem Thron Kastiliens sitzen und goldene Zeiten für das Land bringen?
So ritt sie schweigend in ihre Gedanken versunken dahin und spürte in den ersten Stunden weder Wind noch Kälte, während Teresa an ihrer Seite mit den Zähnen klapperte. Beatriz begann bald schon zu jammern, und obwohl Isabel keinen Laut der Klage hören ließ und die Lippen fest aufeinanderpresste, konnte jeder sehen, dass auch sie unter der Kälte litt. So kehrten sie bereits am Nachmittag in einem Kloster ein, wo die Nonnen sich eilten, den unerwarteten Gästen eine warme Mahlzeit zu bereiten und ein Lager, auf dem sie die Nacht verbringen konnten.
Mit einem Becher heißem Gewürzwein in den Händen trat Jimena noch einmal vor das Tor und ließ den Blick nach Nordwesten wandern, wo sich hinter den Gipfeln der Berge irgendwo der Alcázar von Segovia über der Stadt erhob. Sie unterdrückte einen Seufzer. Weit waren sie an diesem Tag nicht gekommen. Ja, sie hatten nicht einmal den Fuß der Sierra de Guadarrama erreicht. Immer wieder riss die Wolkendecke ein wenig auf und enthüllte einen der schneebedeckten Gipfel, die majestätisch zu ihr herübersahen. Es war schon im Sommer mit etlichen Mühen verbunden, die beiden Gebirgsketten und das Hochtal dazwischen zu überqueren, doch jetzt im Winter bei so viel Schnee?
Andrés de Cabrera trat zu ihr und folgte ihrem Blick.
»Ja, es wird nicht einfach, und ich täte viel dafür, Euch und Ihrer Hoheit und all den anderen dies nicht antun zu müssen, doch wir können nicht bis zum Frühling warten.«
Jimena nickte. »Wir werden es schon schaffen. Isabel ist zäh und wild entschlossen.« Plötzlich bemerkte sie, dass Andrés immer noch seine Rüstung unter dem dicken Reiseumhang trug.
»Reiten wir heute noch weiter?«
Er schüttelte den Kopf. »Ihr und die anderen Damen nicht«, wehrte er ab, »aber ich werde mit drei meiner Männer zusehen, dass ich noch ein paar Meilen schaffe, ehe es völlig dunkel ist. Ich muss Segovia so schnell wie möglich erreichen. Es war schon riskant, überhaupt nach Alcalá zu reisen, doch ich wollte den Plan keinem Schreiben anvertrauen, das in falsche Hände hätte geraten können. Doch nun muss ich dafür sorgen, dass sich der Alcázar noch in meinen Händen befindet, wenn Prinzessin Isabel in Segovia eintrifft!«
Jimena nickte. »Der Marquis de Villena bemüht sich immer noch nach Kräften, Euch das Amt des königlichen Statthalters von Segovia zu entreißen?«
»Oh ja, Juan Pacheco würde nichts lieber tun, als seine Hand auf den Staatsschatz zu legen und den verhassten Konvertiten
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