Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
erfasste alle ihre Gäste. »Gehen wir hinein. Ihr habt mein Interesse geweckt.«
Kapitel 27
Durch die Sierra de Guadarrama, 1473
Es war kalt. Ein eisiger Nordwind drang durch Umhänge und Gewänder bis auf die Haut. Jimena sah zum grauen Himmel empor, aus dem sich Schneeflocken zu lösen begannen. Der Wind griff nach ihnen und wirbelte sie umher, hob die Röcke hoch und ließ sie um die vor Kälte bläulichen Beine tanzen. »Solche Tage sollte man an einem prasselnden Feuer vor dem Kamin verbringen und sich spannende Geschichten erzählen, statt bei einer Reise zu dieser Jahreszeit jämmerlich zu erfrieren«, meinte Beatriz mit einem Seufzer.
Andrés de Cabrera sah seine Frau besorgt an. »Es tut mir leid, dass ich dir das zumuten muss. Willst du lieber hierbleiben, bis das Wetter milder wird?«
»Was?« Beatriz starrte ihren Gatten an, als habe er den Verstand verloren. »Ich soll allein auf den Gütern eines zornigen Carrillo zurückbleiben, der dir vermutlich die Pest an den Hals wünscht?« Wieder seufzte sie. »Ach, warum musstet ihr ihn so erzürnen? Nicht, dass ich ihn besonders gut leiden kann, aber er ist zumindest so mächtig, dass er uns bisher sämtliche von Isabels Gegnern vom Hals gehalten hat.«
»Die immer zahlreicher werden«, fügte ihr Mann sanft hinzu. »Ja, noch hat Carrillos starke Hand Isabel geschützt, doch wie lange kann das noch gut gehen? Und was bringt es ihr? Wenn sie sich durchsetzen will, dann müssen wir andere Wege gehen.«
»Ja, ich weiß«, wehrte Beatriz ab. »Ihr habt es mir ja erklärt. Wir brauchen die Mendozas auf unserer Seite. Sie sind die mächtigsten Granden von Kastilien und das Rückgrat des Königs.«
»Genau«, gab Jimena ihr recht. »Und sie wollen – im Gegensatz zu Villena und seiner Bande – den König und damit das Reich stärken und denken nicht nur daran, wie sie sich selbst noch mehr bereichern. Den anderen ist völlig gleich, dass sie das Land ausbluten und von einem Bürgerkrieg in den nächsten stürzen.«
»Schade nur, dass Carrillo alles, was aus dem Hause Mendoza kommt, als seinen persönlichen Todfeind ansieht und wir deshalb mitten im Winter durch die Lande ziehen müssen. Hättet ihr ihn nicht erst im Frühling verärgern können?«, schimpfte Beatriz.
Jimena lachte, während sie sich von Andrés in den Sattel helfen ließ. »Ja, vielleicht sollte man bei seinen Intrigen das Wetter mit berücksichtigen. Ich gebe ja zu, dass ich bis zum Schluss hoffte, Isabel hätte sich mit Carrillo wieder versöhnen können, doch ich fürchte, es liegt nicht allein an ihrer Annäherung an die Mendozas. Sie ist ihm einfach zu selbstständig.«
»Eigensinnig«, korrigierte Beatriz.
»Ja, er will ein dummes Lämmchen, das auf dem Thron sitzt und lächelt, während er im Hintergrund die Entscheidungen trifft.«
Beatriz lachte. »Ha, da hat er sich aber die Falsche ausgesucht. Wie oft hat sie ihn jetzt schon erzürnt, indem sie ihre eigenen Entscheidungen traf?«
»Und die Sache spitzt sich weiter zu. Genau deshalb müssen wir uns der Mendozas versichern, ehe der Erzbischof ganz die Seiten wechselt!«, erklärte Andrés. »Noch hat er sich nur mal wieder beleidigt zurückgezogen, doch er hat ihr nicht den Krieg erklärt!«
»Was er aber vielleicht tun wird, wenn er von diesem Streich erfährt«, murmelte Beatriz.
Jimena nickte. »Ja, also können wir nur hoffen, dass unser Überraschungsangriff zum Erfolg führt!«
Andrés nickte. Er stieg in den Sattel und ritt zu Don Gutierre an die Spitze des Zuges. Auch Gonzalez de Chacón, Alonso de Palencia und ein paar weitere Männer begleiteten sie. Jimena schaute zu Isabel hinüber, die ihr Pferd neben das von Don Gutierre trieb, um sich mit ihm zu besprechen. Ihre Miene war ernst und entschlossen.
Vermisste sie Fernando an ihrer Seite? Fiel es ihr schwer, diesen Schritt allein zu entscheiden und trotz der Wetterwidrigkeiten der Jahreszeit in die Tat umzusetzen? Nein, Jimena konnte keine Unsicherheit und keine Sehnsucht feststellen. Ihr Gatte kämpfte in Aragón für ihre Rechte. Gegen seinen Vater und vielleicht auch gegen sein Volk? Jimena wusste es nicht so genau. Das war seine Sache. Isabels Aufgabe hier in Kastilien betraf den König, dessen ungewohnte Härte und Unversöhnlichkeit es nun zu brechen galt. Argumente hatten beide Seiten längst genügend ausgetauscht. Nun konnte ihnen nur noch das Moment der Überraschung helfen. Aber würde das allein genügen? Jimena zerbrach sich den Kopf darüber, wie
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