Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
konnte.«
Wieder diese seltsamen Blicke.
»Was ist denn los?«, rief sie nun mit sich überschlagender Stimme. »Was wollen Sie von mir?«
»Señora Thalheim«, sagte nun der ältere der beiden in einem Tonfall, als würde er mit einem Kind oder mit einer senilen Alten sprechen. »Ihr Mann hatte einen Unfall gestern Nacht. Einen schweren Unfall mit dem Wagen, den Sie gemietet haben und in dem wir auch Ihre Handtasche und eine Damenjacke fanden. Was wir allerdings nicht fanden, waren Sie! Könnte es sein, dass auch Sie in diesem Fahrzeug saßen? Dass dieses Blut an Ihren Händen und an Ihren Kleidern von jenem Unfall herrührt?«
»Was?«, rief Isaura aus und wollte protestieren, doch sie brachte keinen weiteren Ton heraus.
Glas splitterte. Sie hörte einen Schrei, dann wirbelte alles umher. Der Schmerz und dann die Dunkelheit. Der Film schien nun wieder rückwärts zu laufen. Sie saß mit Justus in diesem Wagen.
Warum?
Sie waren hier gewesen und hatten sich dann in der Dämmerung aufgemacht, um zu einem Hotel zu fahren, wo sie essen und übernachten wollten. Aber was war dann geschehen?
Wie ein Blitz durchfuhr sie die Erinnerung. Sandy war schwanger. Justus wollte die Scheidung. Sie saß neben ihm, als der Schmerz zuschlug, und dann?
»Wie bin ich hierhergekommen?«, sprach sie die Frage laut aus.
»Ja, das würde uns auch interessieren. Ein Zeuge sagte uns, dass eine Frau in dem Wagen war, die dann unmittelbar nach dem Unfall verschwunden ist.«
Isaura schüttelte den Kopf. Sie konnte und wollte es nicht glauben. Doch die zusammenhanglosen Bilder in ihrem Geist schienen zu der Geschichte zu passen.
»Wo soll das passiert sein?«, hakte sie nach.
»In der Nähe von Toro.«
»Das ist unmöglich. Es sind fast dreißig Kilometer bis dorthin. Wie kann ich in dem Wagen gesessen haben, wenn ich doch jetzt hier bin?«
Wieder nickten die beiden Polizisten. »Eine interessante Feststellung. Vielleicht hat Sie jemand mitgenommen. Vielleicht sind Sie fast die ganze Nacht gelaufen. Wir werden das überprüfen.«
Isaura konzentrierte sich noch einmal auf die Erinnerungsfetzen, die ihr Gedächtnis freigab. Dann stutzte sie. Was hatte der Polizist gesagt? Ein schwerer Unfall?
»Wo ist Justus, mein Mann? Ist er verletzt?«
»Interessant, dass Sie doch noch fragen«, bemerkte der Ältere der beiden Polizisten und zog eine abfällige Grimasse.
»Es war wirklich ein schwerer Unfall«, wiederholte der Jüngere, und in seiner Miene stand eher Entsetzen. »Ihr Mann hatte Glück, dass man ihn lebend aus diesem Wrack geholt hat, das man kaum noch als Auto erkennen konnte!«
Isaura wurde es abwechselnd heiß und kalt. »Wie geht es ihm? Wo ist er?«
»Er ist im Krankenhaus in Valladolid, aber wie es ihm geht, darüber dürfen wir keine Auskünfte geben. Soviel wir wissen, ist er dort auf der Intensivstation und wird von einem Doktor Jiménez Díaz betreut.«
Isaura riss dem Polizisten ihre Tasche aus der Hand. »Können Sie mich zu ihm bringen? Wie Sie ja wissen, habe ich kein Auto mehr«, fügte sie mit einem bösen Blick hinzu und strebte auf den Polizeiwagen zu. Was sollten diese Fragespielchen? Warum hatten sie nicht gleich gesagt, dass Justus etwas zugestoßen war?
Die beiden sahen einander an, doch Isaura kümmerte sich nicht um die Polizisten, sondern nahm auf der Rückbank Platz. Die beiden wechselten einen Blick und stiegen dann ebenfalls ein. Isaura wollte sie anschreien, sie sollten mal einen Zahn zulegen, denn sie schienen es nicht besonders eilig zu haben.
Der ältere drehte den Schlüssel im Schloss und ließ den Motor an, machte aber keine Anstalten loszufahren.
»Wir können Sie nicht ins Krankenhaus bringen«, sagte er. »Sie müssen erst mit uns aufs Revier kommen und mit unserem Comisario der Kriminalpolizei sprechen.«
»Das muss doch nicht jetzt sein«, wehrte sich Isaura. »Die Formalitäten können wir später erledigen.«
»Señora, es geht hier nicht nur um Formalitäten«, widersprach der Polizist streng. »Es geht hier möglicherweise um die Ermittlung in einer Straftat.«
»Was denn für eine Straftat? Ich denke, Justus hatte einen Unfall?«
»Ja, und wir haben noch nicht zufriedenstellend geklärt, welche Rolle Sie bei diesem Unfall gespielt haben!«
»Ich? Wie meinen Sie das?«
»Zwei Dinge sind ziemlich sicher: Sie waren in diesem Wagen, als es zu dem Unfall kam, und Sie haben sich unerlaubt vom Unfallort entfernt. So etwas nennt man unterlassene Hilfeleistung oder auch
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