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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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erklären kann, dass ich unverletzt bin und mich am Morgen auf meiner Bank vor Großtante Carmens Haus wiederfand.«
    »Sie waren verwirrt, und deshalb hat Sie Ihr Weg nach Hause geführt«, sagte der Anwalt, als sei dieser Teil der Geschichte völlig normal. »Doch bitte, versuchen Sie sich zu erinnern, was vorher geschah. Erzählen Sie mir jede Kleinigkeit in den Augenblicken vor dem Unfall, an die Sie sich erinnern können.«
    Isaura seufzte. Es war ihr danach, ihn unwirsch anzufahren. Sie wollte nicht noch einmal alles herunterbeten, was sie dem Kommissar bereits gesagt hatte. Ja, und sie wollte sich nicht erinnern und in der schmerzenden Wunde bohren. Jedes von Justus’ Worten war wie ein Messerstich gewesen, und auch in der Erinnerung schmerzten sie kaum weniger. Außerdem ging es den Anwalt nichts an, dass ihr Mann sie betrogen hatte und verlassen wollte.
    Ihr innerer Kampf dauerte an, doch Señor Campillo schien es nicht eilig zu haben. Er drängte sie nicht. Sein Blick ruhte mit Güte auf dem geschundenen Körper des Mannes in seinem Krankenhausbett. Nur das Fiepen der Apparaturen war zu hören und das zischende Geräusch der Beatmungsmaschine.
    »Sie haben sich gestritten«, half der Anwalt schließlich nach.
    »Ja.«
    »Ein außergewöhnlicher Streit. Nichts Alltägliches.« Es war keine Frage, es war eine Feststellung.
    »Ja.«
    »Ein tiefer Schmerz, nicht wahr?« Er sah sie aus seinen grauen Augen aufmerksam an.
    Isaura nickte. Eine Träne rollte ihr über die Wange, als sie zu erzählen begann. Von diesem Abend daheim in München, dem Telefonat und ihrer überstürzten Reise nach Kastilien. Und dann von seinem Besuch und ihrem Wunsch, noch einmal von vorn zu beginnen, ihm und ihrer Ehe eine zweite Chance zu geben.
    »Carmens Häuschen war nicht nach seinem Geschmack. Das wusste ich schon im Voraus, daher fuhren wir zu diesem Hotel, in dem ich für alle Fälle ein Zimmer gebucht hatte. Er sagte, dass er nur eine Nacht bleiben würde, weil er zu ihr zurückwollte – zu Sandy, die sein Kind erwartet. Und er sagte, dass er die Scheidung einreichen will.«
    Wieder war der Schmerz so stark, dass Isaura innehielt und die Augen schließen musste. Stockend sprach sie weiter.
    »Es war ein Schock und hat so weh getan. Und dann ging alles ganz schnell. Ich erinnere mich nur noch an Bruch stücke. Das splitternde Glas, Justus, wie er vor Schreck und vielleicht auch Schmerz aufschreit, der Wagen, der sich dreht, und dann ein Aufprall. Danach ist alles dunkel.« Sie hob hilflos die Arme.
    Der Anwalt beugte sich nach vorn und sah sie eindringlich an. »War es genau so? Denken Sie nach!«
    »Ja. Ich habe es Ihnen so erzählt, wie ich mich erinnere.«
    Er sank ein wenig in seinem Stuhl zusammen und sah nun noch älter und ein wenig traurig aus.
    »Gut, Señora Isaura, ich glaube Ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Polizei. Ich kümmere mich um den Comisario . Und auch die Sache mit dem Wagen regle ich. Lassen Sie es mich wissen, wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann.«
    »Ich möchte das alles verstehen!«, rief Isaura und warf die Arme in die Luft. »Erklären Sie mir das! Wie konnte das alles passieren?«
    Der Anwalt griff nach ihren Händen und hielt sie fest. »Es ist nicht an mir, Ihnen das zu erklären. Sie werden es selbst herausfinden, vielleicht schneller, als es Ihnen lieb ist. Noch bewahrt Ihr Geist Sie vor dem Schmerz der Erkenntnis. Doch wenn Sie Ihren eigenen Worten genau zuhören, dann werden Sie irgendwann nicht mehr ausweichen können und müssen verstehen. Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, Ihnen Ratschläge für Ihr Leben zu geben, doch ich wünsche mir für Sie, dass es Ihnen gelingt, das, was Sie auszeichnet, anzunehmen und es zum Guten zu nutzen. Es kann Segen und Fluch sein, wie so vieles, doch es steht in Ihrer Macht, es zum Segen werden zu lassen, für sich und andere. Ich lasse Sie nun allein. Denken Sie darüber nach. Wenn Sie so weit sind und meine Hilfe möchten oder auch nur darüber reden wollen, rufen Sie mich an.«
    Er drückte noch einmal ihre Hände, dann erhob er sich. Isaura war völlig verwirrt. Sie sprang auf.
    »Ich verstehe nicht«, rief sie. »Sie müssen es mir erklären!«
    Doch der alte Anwalt schüttelte den Kopf. Die Tür ging auf, und die schwarzhaarige Schwester kündete die Visite der Ärzte an.
    »Sie müssen das Krankenzimmer nun verlassen. Señor Campillo, Sie sollten sich verabschieden. Señora Thalheim, Sie warten bitte draußen. Einer unserer

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