Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
das hoffentlich, ohne bleibende Schäden davonzutragen.
Isaura schauderte beim Anblick des dick verbundenen Schädels, und sie wollte gar nicht wissen, was der eigentlich so harmlose weiße Verband verbarg. Auch seine beiden Beine verschwanden unter Verbänden und waren mit metallisch schimmernden Schienen verspannt.
»Ach, Justus«, hauchte sie, »wie konnte das nur geschehen? Ich meine das alles. Wie konnte es mit uns so weit kommen?« Sie schwieg und zwang sich, das ganze elende Bild in sich aufzunehmen.
»Wach auf«, bat sie. »Sprich mit mir. Es gibt noch so vieles, das wir klären müssen.«
Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie fuhr herum und starrte in das vierschrötige Gesicht von Comisario Martinez. Wut stieg in ihr auf.
»Ach, ist das Ihre Art zu ermitteln? Hoffen Sie, so zu erfahren, was ich Ihnen Ihrer Meinung nach zu verschweigen versuche?«
Er öffnete den Mund, vielleicht, um sich zu verteidigen, doch da schob sich eine andere Gestalt ins Zimmer und trat zu Isaura. Sie sah in das faltige Gesicht des alten Anwalts, der sie mit der Güte eines liebenden Großvaters betrachtete.
»Mit Verlaub, Comisario, Señora Thalheim wird Ihnen alle Ihre Fragen beantworten, aber nicht jetzt und auch nicht hier im Krankenzimmer ihres Gatten. Bitte gehen Sie jetzt, und lassen Sie uns allein!«
Er sprach leise, aber mit fester Stimme. Auch er beherrschte das Spiel, seinen Gegner mit seinem Blick festzuhalten. Vielleicht war er früher ja doch als Verteidiger vor Gericht aufgetreten, um für die Freiheit seiner Mandanten zu kämpfen. In diesem Augenblick konnte sich Isaura das gut vorstellen.
Der Kommissar senkte den Kopf. »Gut, Señor Campillo, wie Sie wünschen. Dann lasse ich Sie mit Ihrer Mandantin allein. Aber lassen Sie nichts unversucht, sie davon zu überzeugen, dass Kooperation nur zu ihrem eigenen Besten ist!«
Er ging und schloss die Tür hinter sich. Der Anwalt nickte zufrieden. Er zog sich einen Stuhl neben den von Isaura und setzte sich.
»Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«
Er tätschelte ihren Arm. »Das ist doch selbstverständlich, mein Kind. Es war richtig, dass Sie mich gleich angerufen haben, und ich entschuldige mich, dass Sie mich nicht sofort erreichen konnten.«
»Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemanden gibt, der da noch helfen kann«, sagte sie leise. Isaura sah wieder auf Justus’ so leblos wirkenden Körper herab, der von selbst nicht einmal mehr atmen wollte. Der Anwalt folgte ihrem Blick.
»Für das Wohl Ihres Mannes bin ich sicher nicht der Richtige. Seine Genesung ist ein Fall für die Ärzte, und ich wünsche Ihnen, dass Sie hier die besten finden. Doch vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
Isaura wartete lange mit ihrer Antwort. »Muss man mir denn helfen? Ich meine als Anwalt?«
Señor Campillo überlegte. »Das kommt darauf an. Ich kenne die Fakten so, wie sie sich der Polizei darstellen. Jetzt frage ich Sie: Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
Isaura wunderte sich, wie schnell er gehandelt hatte und nicht nur von Segovia nach Valladolid gefahren war, sondern sich auch noch bei der Polizei mit der Aktenlage vertraut gemacht hatte. Man durfte diesen alten Mann nicht unterschätzen! Sie schob die Antwort auf seine Frage noch ein wenig hinaus und fragte ihn stattdessen:
»Haben Sie denn Erfahrung als Strafverteidiger?«
Wieder dieses Lächeln, das einen zu Tränen rühren konnte und das Bedürfnis wachrief, in die schützenden Arme des alten Mannes zu flüchten, um dort Trost zu suchen.
»Ja, ich habe ein paar meiner Mandanten, die mir lieb und teuer waren, vor Gericht rausgehauen, könnte man salopp sagen. Auch Ihrer lieben Großtante Carmen konnte ich mehr als einmal behilflich sein.«
Das hat ihm gefallen, dachte Isaura. Er war stolz und glücklich gewesen, ihr helfen zu können, was er vermutlich eher wegen ihres dankbaren Lächelns als wegen eines Honorars getan hatte.
Der Anwalt unterbrach ihre Überlegungen und fragte noch einmal drängender: »Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
Eine interessante Formulierung, dachte Isaura, aber vermutlich hatte die Polizei ihm erzählt, dass sie behaupte, sich nicht erinnern zu können.
Isaura schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht«, sagte sie schärfer, als sie beabsichtigte. »Ich habe dem Comisario alles gesagt, woran ich mich erinnern kann. Ja, ich saß in dem Wagen, und, nein, ich kann nicht sagen, wie es zu diesem Unfall kam, genauso wenig, wie ich es
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