Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
ihre Fäuste und Messer gegen einige Juden erhoben hatten und das erste Blut geflossen war, war der Mob nicht mehr zu halten.
Es war am späten Vormittag. Die Damen saßen mit ihren Handarbeiten im schattigen Hof und plauderten miteinander, als Abraham Senior durch das große Tor hereingestürzt kam. Sein Ärmel war zerrissen. Blut rann ihm am Handgelenk herab. Haar und Bart wirkten zerzaust. Mit kreidebleicher Miene lief er auf Isabel zu, die Augen weit aufgerissen.
»Señor Abraham«, rief sie und sprang auf. Ihre Stickarbeit fiel zu Boden. »Was ist denn geschehen?«
»Hoheit, Ihr müsst etwas tun«, keuchte er. »Der Mob ist außer Rand und Band. Sie werden alle Juden der Stadt erschlagen, wenn sie keiner aufhält! Es liegen bereits Tote in den Gassen, doch sie ziehen weiter, plündern und morden. Vielleicht werden sie die ganze Judería niederbrennen!«
Isabel wurde blass und sah sich Hilfe suchend um. »Was soll ich tun? Ich bin nicht der König. Ich habe keine Truppen, die ich hinausschicken kann, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.«
Beatriz schlug sich die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. »Nein, wie schrecklich! Gehen sie auch gegen die Konvertiten vor?«
Señor Abraham hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Wer kann sagen, was die Bestie tun wird, wenn sie erst einmal aus dem Schlaf gerissen wurde?«
»Wo ist Andrés?«, fragte Jimena, die wusste, dass Beatriz sich um ihren Gatten sorgte, doch er war der Verwalter und Kommandant dieses Palasts, wenn der König abwesend war.
Isabel nickte. »Ja, ruft Don Andrés, er muss mit seinen Männern für Ordnung sorgen!«
Sie schickte einen der Pagen, der in der Nähe herumlungerte, den königlichen Statthalter zu holen. Nur wenige Augenblicke später stürmte der mit dem Schwert in der Hand in den Hof. Er brüllte einige Befehle. Eilige Stiefel waren auf der Wendeltreppe des großen Turms zu hören, dann liefen die Männer in den Hof. Der Hauptmann der Wachmannschaft eilte zu Andrés de Cabrera, um sich seine Anweisungen zu holen. In knappen Worten schilderte er die Lage in der Stadt.
»Wir müssen dem ein Ende setzen, ehe die halbe Stadt brennt.«
Der Hauptmann nickte. Er ließ sich nicht anmerken, auf wessen Seite er tief in seinem Innern stand. Vielleicht dachte er so wie der Mob? Vielleicht störte es ihn, dass ein Konvertit ihm seine Befehle erteilte? Jimena war sich nicht sicher. Jedenfalls nickte er und forderte die Männer auf, ihm zu folgen, um in der Stadt für Ruhe zu sorgen.
»Beeilt euch!«, rief Don Andrés und rannte mit erhobenem Schwert auf die Zugbrücke zu. Er schärfte den Zurückbleibenden ein, keinen in den Palast zu lassen, bis er zurück sei. Kaum waren die Männer draußen, wurde das große Tor geschlossen und die Brücke hochgezogen. Dann eilten sie in die Stadt, um zu retten, was noch zu retten war.
Mit Furcht blieben die Frauen im Alcázar zurück und warteten bang auf Nachricht. Die Handarbeiten waren vergessen. Beatriz ging rastlos auf und ab und kaute nervös an ihren Fingernägeln, bis Teresa zu ihr trat und ihre Hände festhielt.
»Lass mich«, fauchte sie. »Es ist nicht dein Mann, der sich dort draußen dem Mob stellen muss, der nach seinem Blut giert!«
Jimena überlegte, ob sie sich einmischen sollte, doch Teresa hatte ihre eigene Art, sich verständlich zu machen und sich durchzusetzen. Sie sah Beatriz in die Augen, bis diese den Blick senkte. Die Anspannung schien ein wenig zu weichen. Sie zog Teresa in ihre Arme. Tränen standen in ihren Augen.
»Verzeih, du meinst es ja nur gut, doch ich habe Angst um ihn.«
Sie mussten sich noch Stunden gedulden, ehe Andrés mit einigen Männern zurückkehrte. Er schien unverletzt, doch seine Miene war ernst.
»Berichte uns!«, drängte Beatriz, und auch Isabel forderte zu wissen, was in der Stadt vor sich ging.
»Ich weiß nicht, wie viele Tote es unter den Juden gab, noch nicht, doch es sind viele! Männer, Frauen und Kinder. Erschlagen, erstochen. Nein, ich will eure Gemüter nicht mit Einzelheiten belasten. Die Menge hat geplündert und ver sucht, einige Häuser niederzubrennen, doch unsere Männer konnten mithilfe einiger beherzter Bürger das Schlimmste verhindern. Die Brände sind nun gelöscht, und die Männer patrouillieren durch die Gassen um die Judería, um weitere Ausschreitungen zu verhindern, doch ich glaube, der Zorn hat sich entladen, und die Vernunft ist zurückgekehrt. Die Juden sind dabei, ihre Toten zusammenzutragen und zu betrauern.
Weitere Kostenlose Bücher