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Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)

Titel: Das kastilische Erbe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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gackernd davon, in einem Pferch wühlten ein paar Schweine im Schlamm, und irgendwo musste auch das Gehege mit den Hasen sein. Zwei schwarze Katzen schliefen eng aneinandergekuschelt auf einem Strohballen, wo der Hund sie vermutlich nicht erreichen konnte. Mit einem Gefühl der Beklemmung folgte Isaura dem Mädchen ins Haus, das über einige Zimmer mehr verfügte als ihr eigenes. Schon als sie die Treppe zu den Schlafkammern hinaufstieg, kroch ihr der beklemmende Geruch von Alter und Krankheit in die Nase, den sie von Pflegeheimen kannte, doch hier vermischte er sich mit dem Duft von Lavendel, frischem Knoblauch und anderen appetitlichen Küchendüften. Mercedes nickte ihr aufmunternd zu. Zaghaft klopfte Isaura und trat dann ein.
    Von einem Kissenberg gestützt saß die alte Frau in ihrem einfach gezimmerten Bett. Ihr Blick war klar, ihre Hand winkte ihr energisch zu.
    »Venga, venga«, rief sie. »Querida Isaura, siéntese!«
    Isaura kam dem Wunsch der Frau nach und nahm auf der Bettkante Platz. Behutsam umschloss sie die mageren, alten Hände, die ihr entgegengestreckt wurden, mit den ihren.
    »Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte sie mit einem Gefühl der Verzweiflung, und es rührte sie zu Tränen, so viel Zuversicht und Hoffnung im Blick der alten Frau zu sehen. Maria Pilar schien keinerlei Zweifel an den unglaublichen Fähigkeiten ihrer Besucherin zu haben. Isaura wollte sich schon aus dem Griff befreien, den sie nicht länger zu ertragen glaubte, da erklang Mercedes’ leise Stimme von der Tür:
    »Carmen sagte stets, man muss es einfach geschehen lassen. Wenn man die Gabe in sich trägt, dann kommt sie im rechten Moment – wenn man es nur zulässt.«
    Isaura holte tief Luft und schloss die Augen. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass dieser Wahnsinn Wirklichkeit sein sollte, doch wie um den anderen beweisen zu wollen, dass sie einem schrecklichen Irrtum erlegen waren, lauschte sie tief in sich hinein.
    Bilder stiegen in ihr auf. Sie sah Maria Pilar als junges Mädchen und dann als heranreifende Frau. Sie konnte sich nicht erklären, wie sie das sehen konnte, und dennoch war Isaura überzeugt, dass es Maria war. Die Frau reifte heran. Schicksalsschläge gruben sich in ihren Gesichtszügen ein, doch sie war stark und sah immer wieder nach vorn. Dann begann die körperliche Kraft zu schwinden. Der Körper wurde gebrechlich, doch die Kraft ihres Geistes und ihres Willens waren ungebrochen. Nein, Maria Pilar würde auch diese Krankheit besiegen. Ihre Zeit war noch nicht abgelaufen. Sie konnte sie sehen. Isaura hätte nicht genau sagen können, in welcher Zeit ihr die greise Maria vor Augen stand, doch es mussten Jahre ins Land gegangen sein, denn neben ihr stand eine erwachsene Mercedes mit einem kleinen Mädchen an der Hand.
    Langsam öffnete Isaura die Augen. Sie ließ die Hände der alten Frau los und sah sich ungläubig in der einfachen, bäuerlichen Schlafkammer um.
    »Maria Pilar, Sie werden nicht sterben – nicht heute und nicht morgen«, sagte sie mit Staunen in der Stimme, selbst überrascht und verwundert, dass sie mit dieser ungeahnten Sicherheit eine solche Prognose zu geben wagte. »Sie werden wieder gesund. Sie haben noch Jahre vor sich und werden noch ihre Urenkel kennenlernen.«
    Die alte Frau strahlte. Sie streckte ihre Arme aus, und Mercedes eilte herbei, um die Großmutter an sich zu drücken.
    »Escucha, mí cariña – hör nur, meine Liebe!«, rief die alte Frau.
    Erstaunt stellte Isaura fest, dass sie spanisch mit ihr gesprochen hatte. Leise erhob sie sich und machte sich auf den Rückweg. Mercedes machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Vielleicht verstand sie, dass Isaura nun mit ihren Gedanken allein sein musste, um das Unglaubliche, das hier geschehen war, zu begreifen.
    Langsam schritt Isaura dahin, den Blick auf den zerfurchten Weg vor ihren Füßen gerichtet. Wie war das möglich? Sie sprach plötzlich eine Sprache, die sie nie gelernt hatte?
    Doch war ihr früher nicht immer wieder Ähnliches widerfahren? Nichts so Großes. Eher kleine Dinge, die sie plötzlich wusste, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, jemals davon gehört oder darüber gelesen zu haben? Ihr fiel eine Geschichtsstunde in der neunten Klasse ein. Sie sah sich vor der Klassenarbeit brüten, für die sie nicht gelernt hatte, doch plötzlich sprudelten die Gedanken, und sie schrieb und schrieb bis zum Ende der Stunde. Um welches Thema war es damals nur gegangen?
    Isaura stöhnte innerlich.
    Um Spanien. Um

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