Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Kommissariat in Valladolid beordert worden war. Comisario Rafael Martinez Morales hatte sie noch einmal ins Gebet genommen, doch es war ihm nicht gelungen, etwas Neues zu erfahren und das Rätsel zufriedenstellend zu lösen. Dennoch brummte er zum Abschied, der Fall sei für ihn erledigt und sie müsse mit keinen weiteren Konsequenzen rechnen. Isaura spürte, wie schwer ihm diese Worte fielen, und ahnte die Arbeit des Anwalts im Hintergrund, die zu dieser Entscheidung geführt haben musste.
War der alte Mann mächtiger, als sie es gedacht hatte? Oder besaß er die richtigen Verbindungen? Sie sah ihn im Geist bei einem Glas Wein und einer Zigarre mit dem Polizeipräsidenten. Oder waren gar Bestechungsgelder im Spiel? Sie ahnte, dass Señor Campillo es ihr nicht verraten würde. So etwas verstieß gegen den alten Ehrenkodex, dem der Anwalt vermutlich noch anhing.
Isaura richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, mit der Justus sie betrogen hatte. Ja, sie kam ihr bekannt vor. Sie hatte Sandy zweimal gesehen. Einmal auf einem Betriebsausflug und dann noch einmal bei einer geselligen Runde mit seinen Kollegen. Sie war vermutlich jünger als Isaura – auch wenn man ihr das nicht unbedingt ansah, dachte sie boshaft, zwang sich dann aber, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie sah aus wie eine verzweifelte Frau, die sich um das Leben des Mannes sorgte, den sie liebte und dessen Kind sie in sich trug. Es wäre ein schlechtes Zeichen gewesen, eine ungerührt strahlende Schönheit vorzufinden.
Isaura fuhr mit ihrer Musterung fort. Vielleicht hätte man sie unter normalen Umständen als schön oder zumindest als attraktiv bezeichnen können. Jetzt aber wirkte ihre Haut ein wenig grau, die hellblauen Augen waren verquollen, das blonde, lange Haar hing strähnig herab. Sie hatte kein Make-up aufgelegt und trug ein einfaches Sommerkleid, das für den kalten Wind draußen viel zu luftig war. Auch Sandy war der irrigen Vorstellung vom milden spanischen Frühling erlegen.
»Wie ich höre, haben Sie dem Arzt verboten, Justus nach München bringen zu lassen, obwohl ich das für dringend notwendig halte!«, hörte sie Sandy in anklagendem Ton sagen.
»Ja, so habe ich entschieden«, gab Isaura kühl zurück.
»Das ist Ihre Rache«, rief sie pathetisch und sprang gestikulierend auf. Tränen schossen ihr in die Augen. »Sie lassen Justus lieber in diesem Loch sterben, als ihn mir zu überlassen. Was sind Sie für ein Scheusal!«
Nun wallte der Zorn in Isaura auf, den sie bislang ganz gut unter Kontrolle gehalten hatte.
»Nun werden Sie aber nicht kindisch! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, und außerdem ist es völlig daneben, diese Klinik als ein Loch zu bezeichnen. Sie haben die modernste Technik, und Justus wird von einem kompetenten Arzt behandelt. Der hat übrigens in Heidelberg studiert, wie er mir sagte. Der einzige Grund, warum ich darauf bestehe, dass Justus noch einige Tage hierbleibt, ist, dass der Transport noch zu riskant für ihn ist und seinen Zustand verschlechtern oder sogar irreparable Hirnschäden verursachen könnte. Also führen Sie sich nicht so bescheuert auf!«
Die Frau taumelte zurück und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Sie begann heftig zu schluchzen. Blutstropfen quollen aus ihrer Nase. Sie wühlte hektisch in ihrer Tasche und presste sich ein Papiertaschentuch ins Gesicht, bevor das Blut ihr Kleid ruinieren konnte.
»Sie haben mich völlig durcheinandergebracht«, jammerte sie. »Das ist alles Ihre Schuld. Ich habe sonst nie Nasenbluten.«
Isaura sah sie kalt an. Ihre Wut war verraucht. Was fin det Justus nur an diesem Geschöpf, dachte sie traurig. In die sem Moment öffnete sich die Tür, und Dr. Jiménez trat ein. Er streifte Sandy nur mit einem flüchtigen Blick und schaute dann Isaura an. Sein Lächeln war warm.
»Isaura, dürfte ich Sie kurz sprechen?«
Sie bemerkte, dass er sie mit dem Vornamen ansprach, aber das war in Spanien üblich, sobald man sich etwas näher kannte. Sie nickte und ging mit ihm hinaus, ohne der schluchzenden Sandy noch einen Blick zu gönnen.
»Sie wollten mich sprechen Dr. Jiménez?«, erinnerte Isaura ihn, als sie den Garten fast durchquert hatten und er noch immer schwieg. »Gibt es etwas Neues, was den Zustand meines Mannes betrifft? Dann sagen Sie es mir! Es wird dadurch nicht besser, dass es unausgesprochen bleibt.«
»Da haben Sie recht, doch ich kann Sie beruhigen: Es verläuft so, wie ich es mir erhofft habe. Ich denke, wir
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