Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
können das künstliche Koma bald beenden. Und dann werden wir sehen, wie weit er sich wieder erholen kann.«
Isaura nickte.
»Ich muss gestehen, das war nicht der Grund, warum ich ihre … äh … Unterhaltung mit dieser Frau unterbrochen habe. Nehmen Sie es mir nicht übel, doch ich dachte mir, das Gespräch könnte noch unangenehmere Züge annehmen, daher sollte ich Sie vielleicht lieber bitten, mit mir einen Kaffee zu trinken, statt sich weiteren Vorwürfen auszusetzen. Übrigens, danke für das Kompliment und die glühende Verteidigungsrede!«
Isaura starrte ihn an und wusste nicht, ob sie sich freuen oder über die dreiste Einmischung ärgern sollte.
»Herr Doktor, ich bin entsetzt! Sie haben gelauscht?«
»Rein zufällig, und sagen Sie bitte Marco. Wir Spanier haben so lange und viele Nachnamen, das ist viel zu umständlich.«
Isaura wich ein wenig zurück und kniff die Augen zusammen. »Dr. Jiménez Díaz, wenn Sie meinen, nur weil mein Mann und diese Sandy …«
Er fiel ihr ins Wort. »Nein, das meine ich ganz und gar nicht. Was zwischen Ihnen, meinem Patienten und dieser Frau ist, geht mich nichts an. Ich möchte einfach nach einer anstrengenden Schicht einen Kaffee mit Ihnen trinken und Ihnen als der nächsten Angehörigen eines schwer verletzten Patienten ein Arzt sein, dem Sie vertrauen können. Ja, und vielleicht auch ein wenig ein Freund oder auch nur eine Stütze, wie Ihr Anwalt. Wobei ich in meinem Fall mit dem Argument väterlich wohl keine Punkte machen könnte?«
»Wohl kaum«, bestätigte sie mit dem Anflug eines Lächelns.
»Gut, dann eben ohne väterlich. Ich nenne Sie auch gern wieder Señora Thalheim, wenn Sie sich damit wohler fühlen.«
Isaura wehrte ab. »Nein, das ist nicht nötig. Ich möchte nur nicht, dass Sie denken …«
»… dass Sie sich an der Schulter eines Mannes ausweinen müssen oder in dieser Situation schwach werden und zu Dingen bereit sind, die Sie sonst nicht tun würden? Nein, das denke ich nicht! Und da das nun geklärt ist, können wir viel leicht Kaffee trinken. Oder mögen Sie gern Süßes? Ah, ich sehe es am Blitzen Ihrer Augen. Kennen Sie Churros ? Ein Fettgebackenes, das man in dicke, flüssige Schokolade taucht. Über Kalorien sprechen wir nicht! Ich sage Ihnen, Churros müsste es auf Rezept geben, dann bräuchte man keine stimmungsaufhellenden Medikamente.«
»Aber mehr Diätkliniken«, schmunzelte Isaura und folgte ihm in die kleine Bar über die Straße hinüber, wo die Besitzerin ihnen starken Kaffee brühte und herrlich heiße, fettig süße Churros servierte. Es war eine Sünde, und über die gesundheitlichen Aspekte dieser Verführung sollte man besser keine Überlegungen anstellen, doch es schmeckte köstlich und war genau das, was Isaura nach dem unerwarteten Überfall im Krankenzimmer brauchte. Und sie war Dr. Jiménez, nein Marco, dankbar, dass er den Vorfall nicht mehr erwähnte. Er erzählte von seiner Studienzeit in Heidelberg und wusste einige komische Anekdoten zu berichten, die die unterschiedliche Mentalität deutscher und spanischer Studenten unterstrichen.
»Ich sage Ihnen, zu Anfang war es nicht leicht, sich an diese Ernsthaftigkeit und vor allem diese schauderhafte Pünktlichkeit zu gewöhnen, aber alles in allem hat es mir nicht zu sehr geschadet.« Er zwinkerte ihr zu. »Nein, ich muss sogar gestehen, es hat auf mich abgefärbt, und ich bin jetzt als der ›deutsche‹ Stationsarzt in der Klinik berüchtigt.«
Isaura lachte herzlich, und als sie sich voneinander verabschiedeten, hatte sich der Knoten in ihrem Innern gelöst. Der Arzt begleitete sie noch zu ihrem Wagen.
»Tolles Auto«, kommentierte er.
Isaura nickte mit einer Grimasse. »Ja, für einen Oldtimerliebhaber sicher. Ich dagegen kann nur hoffen, dass das Wetter hält, denn mit dem Verdeck ist kein Staat mehr zu machen, wenn es nicht bei der ersten Böe ganz zerreißt.«
Sie reichten sich die Hände, und er hielt die ihren ein wenig länger, als es nötig gewesen wäre.
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann vermeiden Sie es so gut es geht, diese Frau zu treffen. Das wäre für Sie besser und auch für den Patienten, von dem wir nicht wissen, welche Eindrücke er trotz seines Komas mitbekommt.«
»Ach, und da meinen Sie, zwei sich streitende Frauen an seinem Bett wären seiner Gesundheit nicht förderlich?«
Er ignorierte ihren spitzen Ton und lächelte entwaffnend. »Ja, genau das meine ich. Wenn Sie mir erlauben, werde ich in Erfahrung bringen, wie
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