Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
wieder nur mit einer Spitzenmantilla zu bedecken. Sie schlenderten durch die Gassen oder ritten in Ramóns Begleitung durch die lichten Wälder, die sich in leuchtendem Grün zu schmücken begannen.
Doch lange währte das milde Wetter nicht. Schon stieg die Sonne höher und begann gnadenlos vom blauen Himmel zu brennen. Der Wind trocknete die weite Ebene im Norden aus und trieb den Staub vor sich her, der die Kehle ausdörrte und in den Augen brannte. Und so zogen sich die Menschen, die nicht gezwungen waren, mit ihrer Hände Arbeit ihr Brot zu verdienen, in die schattigen Höfe ihrer Häuser zurück und warteten beim sanften Plätschern eines Brunnens und dem Gesumme der Insekten, bis am Abend das Brennen des Tages nachließ.
Auch Isabel und ihre Begleiterinnen liebten es, diese Stunden in einem der Höfe des Alcázar zu verbringen, meist mit einer Handarbeit oder mit einem aufgeschlagenen Buch in den Händen.
Den König bekamen sie in diesen Monaten nur selten zu sehen. Im Land brodelte es, und er reiste von einem Ort zum anderen, ohne dass er etwas erreichte. Zumindest konnten Jimena und ihre Freundinnen aus den Nachrichten, die sie erhielten, nicht schließen, dass die eine oder andere Seite die Oberhand gewann. Alfonso befand sich noch immer in der Gewalt des Marquis, und Jimena wusste, dass Isabel sich um ihren Bruder sorgte, auch wenn sie nur selten davon sprach.
Es war nach der Sommersonnwende, als sich Ramón den jungen Damen mit einer Miene näherte, die wichtige Neuigkeiten versprach.
Jimena legte ihre Handarbeit beiseite. »Was gibt es, Ramón?«
»Oh, vielerlei Gerüchte erreichen Segovia«, sagte er ausweichend.
Jimena zog ärgerlich die Brauen zusammen. »Wenn du et was weißt, das mehr ist als ein Gerücht, dann sag es uns!«
Ramón seufzte. »Du nimmst uns jede Spannung. Du wärst eine lausige Geschichtenerzählerin.«
Seine Cousine fiel ihm ins Wort. »Geht es um Geschichten, die uns die Zeit vertreiben sollen, oder um Neuigkeiten?«
Ramón machte ein missmutiges Gesicht. »Du kannst einem jeden Spaß verderben, verehrte Cousine, aber gut, wenn ihr nur die blanken Tatsachen hören wollt: Der Marquis de Villena ist zurück!«
Isabel runzelte die Stirn. »Was heißt zurück?«
»Er hat seine Burg in Belmonte verlassen und ist mit großem Gefolge nach Ávila gereist.« Er machte eine Pause und sah in die Runde.
Während Beatriz ihn nur fragend ansah, sogen Isabel und Jimena scharf die Luft ein.
»Und Carrillo?«, hakte Isabel nach, doch Ramón grinste und ließ sie ein wenig zappeln.
»Was hat das mit Carrillo zu tun?«, wollte Beatriz wissen, die es gar nicht leiden konnte, wenn sie wieder einmal die Einzige war, die nichts verstand.
»Der König hat ihm Ávila überlassen, als er an Weih nachten reumütig an den Hof zurückkam, erinnerst du dich nicht?«
»Schon«, sagte Beatriz gedehnt.
»Ja, und nun empfängt der Erzbischof von Toledo den Verräter Villena in Ávila«, ergänzte Ramón.
»Ich ahne Schlimmes«, murmelte Jimena. Ramón nickte.
»Ja, ich auch, denn der Marquis hat nicht nur viele Granden an seiner Seite wie den Grafen von Plasencia oder den von Benavente, er hat noch jemand anderen im Gepäck, dem vermutlich eine nicht unbedeutende Rolle zugedacht ist.«
Isabel sprang auf. Das Buch, in dem sie gelesen hatte, fiel polternd zu Boden.
»Er bringt Alfonso mit?«
Ramón nickte wieder. »Ja, so ist es. Und er soll mit großen Ehren in Ávila empfangen werden, hat man mir versichert.«
Jimena und Isabel sahen einander an. »Herr im Himmel, was kann er nur vorhaben?«, fragte Isabel leise.
»Ich vermute, nichts, das uns gefallen könnte, und noch weniger dem König«, meinte Jimena. »Ich fürchte gar, der König wird seine Großzügigkeit zu Weihnachten bitter zu beklagen haben.«
»Ja, hätte der König Carrillo nur gleich den Kopf abgeschlagen, dann bräuchte er nun keinen weiteren infamen Verrat zu befürchten«, rief Beatriz wild, und ihre Augen blitzten.
»Er ist der Primas von Kastilien«, gab Isabel zu bedenken. »Der höchste Würdenträger der Kirche. Den kann selbst ein König nicht einfach hinrichten lassen.«
»Nicht einmal für Hochverrat?«, widersprach Beatriz.
»Das vielleicht schon«, gab Isabel unsicher zu und hob ein wenig hilflos die Schultern. »Aber was nützt es, wenn wir uns Gedanken darüber machen? Der König ist vielleicht der Einzige unter den Granden, der das Evangelium ernst nimmt und immer wieder die Hand zur Versöhnung reicht,
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