Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Damen auf das Tor zuführte.
»Was ist mit dir, Jimena?«, erkundigte er sich, als sie unvermittelt auf der Straße stehen blieb und die Augen weit aufriss.
»Der Palast, die Hochzeit …«, stotterte sie fassungslos.
Ramón umfasste ihren Arm und zog sie weiter, ehe sie von einem Fuhrwerk erfasst oder niedergeritten wurde.
»Was für eine Hochzeit?«, fragte er. »Du bist ja völlig außer dir!«
Auch Isabel, Beatriz und Teresa sahen sie neugierig an.
Jimena schüttelte heftig den Kopf, um die Bilder, die auf sie einstürmten, zu vertreiben. Oder sie zumindest zu ordnen, damit sie sie verstand.
Es war dieser Palast, kein Zweifel, und die Stimmung war wie zum Zerreißen gespannt. Da war unterdrückte Angst, aber auch Erleichterung und Freude über den großen Tag.
Wessen großer Tag? Sie sah einen jungen Mann, kaum siebzehn Jahre alt, mit feierlicher Miene der Braut die Hand halten. Wer war das? Jimena war sich sicher, dass sie ihn noch nie gesehen hatte. Etwa der Hausherr hier? Der Vizconde de Vivero? Nein, das ergab keinen Sinn.
Sie konnte die Braut nicht erkennen, deren Gesicht von einem Schleier verhüllt war, doch der Kirchenmann, der die Trauung vornahm, war ihr gut bekannt: Es war der Erzbischof Carrillo von Toledo. Und auch eine der Personen im Hintergrund kannte sie: seinen Mitverschwörer, den alten Admiral von Kastilien, Fadriquez Enriquez.
Da lüftete die Braut den Schleier. Jimena schloss die Augen und stöhnte auf.
Sie spürte den Druck an ihrem Ellenbogen, und nun drang auch Ramóns Stimme zu ihr durch. »Ist dir nicht gut? Kann ich irgendetwas für dich tun?«
Jimena wurde sich der fragenden Blicke bewusst, die auf ihr ruhten. Sie versuchte sich an einem Lächeln.
»Nein, alles in Ordnung. Mir ist nur ein wenig kalt. Lasst uns fragen, ob der Vizconde einen Becher Wein für uns übrig hat.«
Sie machte sich von Ramón los und trat forsch auf das Portal zu, um anzuklopfen.
Es war der Vizconde höchstpersönlich, der die Gäste in Empfang nahm und ihnen rasch eine Erfrischung bringen ließ. Er unterhielt sich freundlich mit Isabel – immerhin war sie die Halbschwester des Königs – und bot an, die jungen Damen mit Sänften in den Palast zurückbringen zu lassen. Beatriz hätte das Angebot gern angenommen, doch Isabel lehnte ab. Man habe die Gastfreundschaft des Vizconde bereits zur Genüge strapaziert.
Juan de Vivero verbeugte sich elegant vor der Infantin.
» Alteza, es ist mir eine Freude, Euch zu dienen. Verfügt über mich, wann immer Ihr mich braucht.«
Und zu aller Überraschung kniete er nieder und küsste ihr die Hand. Isabel behielt die Fassung.
»Ich danke Euch, Vizconde«, sagte sie ernst, wobei ihre etwas ratlose Miene davon sprach, dass sie sich nicht vorstellen konnte, worin der Edle ihr würde behilflich sein können.
Jimena warf ihm einen Blick zu. Verfolgte Vivero wie Carrillo und der Marquis von Villena seine eigene Politik? War er dabei, seine ganz eigene Intrige gegen den König zu spinnen? Nein. Der Edle wirkte selbst über seine Tat erstaunt und kam ihr nun fast ein wenig verlegen vor.
Vielleicht war dies einer jener seltenen Momente gewesen, in denen die Menschen eine Ahnung davon überfällt, was das Schicksal auf seinen verschlungenen Wegen plant, doch wie so oft fehlte es dem Geist an Offenheit, um nach den Nebelfetzen zu greifen und sie zu verstehen. Jimena jedenfalls war überzeugt, dass der Vizconde dieses Versprechen, das er Isabel so unerwartet gegeben hatte, hier in seinem Haus einlösen würde. Irgendwann. Wenn die Pfade des Schicksals Isabel wieder hierherführen würden.
Es war kurz nach Weihnachten, als Isabel mit der erstaunlichen Nachricht zu ihren Freundinnen in die Bibliothek kam, dass Erzbischof Carrillo und auch der Admiral Fadriquez Enriquez an den Hof zurückgekehrt waren.
»Ah, dann hat er wohl davon erfahren, dass der König Truppen ausheben lässt? Sieh einer an. Der verehrte Bischof hat es wohl mit der Angst zu tun bekommen.«
»Na, dann sollte der König keine Zeit verlieren, sie verhaften und wegen Hochverrats köpfen lassen«, schlug Beatriz ungerührt vor.
»Du weißt genau, dass er das nicht machen wird«, entgegnete Isabel fast ein wenig ungehalten.
»Nein, er wird sich Honig um den Mund schmieren lassen und ihnen ihren Verrat verzeihen«, kommentierte Jimena. »Und womöglich wird er ihnen ihre reumütige Rückkehr mit ein paar zusätzlichen Renten belohnen.«
»Das kann er nicht machen«, widersprach Isabel hilflos,
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