Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
stammten, da die Mauren über Kastilien geherrscht hatten.
Ramón zeigte den jungen Damen das königliche Kloster von San Benito, das von Juan I. auf den Resten des alten maurischen Palasts gegründet worden war. Sie traten in die Kirche, um sich vor dem kalten Wind zu schützen und sich ein wenig aufzuwärmen, doch auch hier war es unangenehm feucht und kalt, und so gingen sie weiter, vorbei am Palast des Erzbischofs und anderen Palästen, die adeligen Herren gehörten und deren Fassaden in ihrer Pracht miteinander wetteiferten.
Während Jimena an Ramóns Arm frisch einherschritt und ihr weder der flotte Marsch noch der kalte Wind etwas ausmachten, fielen Isabel und Beatriz immer weiter zurück. Jimena versuchte, nicht auf Beatriz’ Gejammer zu hören. Ihr war kalt. Ihr taten die Füße weh. Sie verlangte nach einem wärmenden Trunk.
Jimena dagegen wollte immer nur so weitergehen, ihren Arm dicht an den ihres Begleiters gedrückt, sodass sie seine Wärme durch den Stoff spüren konnte. Sie wusste, dass sich ihre Wangen gerötet hatten und dass das nicht nur an dem kalten Wind lag, der ihr unter die Röcke fuhr. Es war so schön, Ramón wieder einmal für sich zu haben. Wie sehr vermisste sie ihre gemeinsamen Ausritte in die Wälder am Fuß der Sierra de Guadarrama. Seit Alfonsos Entführung waren sie nicht mehr zusammen draußen gewesen. Ständig hatte er etwas zu tun und eilte mit einem Auftrag mal hierhin, mal dorthin, wobei Jimena nur eine grobe Vorstellung davon hatte, was er genau tat und wer ihm seine Befehle erteilte. Vielleicht war es nicht viel anders als früher. Die Männer übten den Umgang mit dem Schwert und anderen Waffen, sie ritten auf die Jagd oder begleiteten als bewaffnete Schutztruppe einen Kirchenmann, einen Adeligen oder eine Dame auf einer Reise. Niemand wagte sich in diesen Zeiten ohne Schutz auf die Landstraße! Zu viele Strauchdiebe trieben sich herum, gierig darauf wartend, jede günstige Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. Doch in Begleitung von Ramón und seinen Kameraden konnte man sich sicher fühlen, davon war Jimena überzeugt!
Sie sah ihn verstohlen von der Seite an.
Er sah gut aus! Und er war nicht nur kräftig, sondern auch schnell und wendig, das wusste sie.
Wie gern hatte Jimena ihn früher beobachtet, wenn er sich mit den anderen Jünglingen im Kampf übte. Sie hatten miteinander gerungen, mit Stangen oder Holzschwertern gefochten oder den Umgang mit einem Messer geübt, das Ramón aus mehreren Schritten Entfernung in eine Holzscheibe schleudern konnte. Sie sah ihn in ihren Gedanken mit freiem Oberkörper vor sich, und die Vorstellung trieb ihr die Röte ins Gesicht. Sie senkte rasch den Blick, bis sich Ramón ihr wieder zuwandte. Sie schwelgten gemeinsam in schönen Erinnerungen und lachten zusammen, dass es ihr ganz warm ums Herz wurde, als wäre der Winterwind plötzlich verstummt.
»Ramón, warte!«, rief Beatriz und zerbrach die schützende Hülle ihrer trauten Erinnerungen. »Ich habe keine Lust mehr! Ich laufe keinen Schritt mehr weiter. Ich will mich aufwärmen!«
Sie umrundeten gerade den Convento de las Descalzas Reales. Ramón, Jimena und Teresa, die wie immer alles klaglos über sich ergehen ließ, blieben stehen und warteten, bis Isabel und Beatriz zu ihnen aufgeschlossen hatten.
»Vielleicht dürfen wir bei den Schwestern eintreten und sie um einen warmen Wein bitten«, schlug Jimena vor.
»Oder wir klopfen dort auf der anderen Seite der Straße an die Tür«, meinte Ramón. »So weit wird es Doña Beatriz bestimmt noch schaffen.«
»Wem gehört dieser Palast?«, erkundigte sich Isabel. Sie betrachteten das sich wehrhaft darbietende Anwesen, das mit einer Mauer umgeben war und von einem Turm bewacht wurde, die beide schon sehr alt wirkten. Der Mudéjarstil des Palacio ließ vermuten, dass zumindest Teile des Gebäudes bereits unter der Herrschaft der Mauren erbaut worden waren, die die Stadt hundert Jahre lang in ihrer Hand gehalten hatten, bis König Alfonso el Bravo sie ihnen im Jahr 1074 wieder entriss. Doch seit jenen heldenhaften Jahren war die Reconquista nach und nach eingeschlafen, und noch immer herrschte ein maurischer Emir von der Alhambra aus über Granada, geduldet von einem schwachen kastilischen König, der sich damit begnügte, Tribut von den Nasriden einzufordern.
»Ja, wer wohnt hier?«, wollte auch Beatriz wissen.
»Es ist das Haus von Juan de Vivero, dem Vizconde von Altamira«, gab Ramón bereitwillig Auskunft, als er die
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