Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
»Nein, denn diese Anrede gebührt mir nicht. Ich habe hier ein Schreiben vorbereitet, das Ihr bitte an meinen Bruder, den König, weiterleitet.«
Sie reichte ihm den noch nicht versiegelten Brief, sodass Erzbischof Carrillo einen Blick darauf werfen konnte. Was er las, gefiel ihm nicht, das konnte Jimena an den zusammengepressten Lippen erkennen.
»So, Ihr habt Euch also entschlossen, Euren Bruder in seinem Amt zu bestätigen und ihn Eurer Treue zu versichern«, sagte er abfällig.
»Ja, denn Enrique ist der rechtmäßige König Kastiliens. Doch sollte der Herr im Himmel ihn einst zu sich rufen, dann werde ich mich der großen Aufgabe stellen, dem Land eine gute Königin zu sein«, fügte sie stolz hinzu.
Carrillo sah wieder auf den Brief herab und las die letzte Zeile, mit der Isabel unterzeichnet hatte:
»Isabel, durch die Gnade Gottes Prinzessin und legitime Erbin der Königreiche Kastilien und León.«
Ein Lächeln umspielte seine Lippen und wurde dann breiter. »Ja, das ist deutlich, und damit kann man etwas anfangen. Ich bin froh, dass Ihr so vernünftig seid, Euer Recht nicht leichtfertig wegzuwerfen und mit Füßen zu treten, denn ich muss Euch sagen, dass nach dem Tod Eures Bruders Alfonso die Rufe nach der Beltraneja als Erbin des Reiches wieder lauter werden. Allen voran die Mendozas mit dem Marquis de Santillana. Sie treten für die Sicherheit in der Erbfolge und für einen starken König ein und sind fest entschlossen, ihre ganze Macht in die Waagschale zu werfen.«
»Die nicht zu verachten ist«, säuselte Isabel, doch der Erzbischof ging nicht auf ihre Worte ein. Seine Miene hatte sich bei dem Gedanken an seine Erzwidersacher verdüstert.
»Sie träufeln dem König mit ihren Schlangenzungen Gift ins Ohr, doch ich versichere Euch, wir werden nicht zulassen, dass er seine Tochter wieder als Erbin benennt.«
Jimena fand es interessant, dass der Erzbischof Juana als des Königs Tochter bezeichnet hatte. Vermutlich war das nicht mit Absicht geschehen, doch das verriet, dass er selbst nicht sicher war, wer das Mädchen gezeugt hatte. Aber darum ging es schließlich nicht. Hier ging es nur darum, wer mehr Macht im Reich besaß. Und da Carrillo Isabel in seinen Händen hatte, war er bestrebt, sie in seinem Sinne zu formen und dann auf den Thron zu bringen, wo er seinen Einfluss natürlich fortzuführen gedachte. Doch in Jimena wuchs die Gewissheit, dass er mit Isabel kein so leichtes Spiel haben würde wie mit ihrem jüngeren Bruder Alfonso. Er war ein Kind gewesen, als er in Carrillos und Villenas machtgierige Hände gefallen war, Isabel dagegen war eine junge, selbstbewusste Frau, die noch dazu über einen ausgeprägten Willen verfügte.
»Was immer auch geschieht, ich werde treu an deiner Seite bleiben, Alteza,« schwor ihr Jimena auf Knien, als sie wieder in ihrem Gemach waren. Isabel zog die Freundin hoch und küsste ihre Wangen.
»Ich weiß, Jimena. Ich vertraue dir und Beatriz wie niemandem sonst. Was auch kommen mag, wir werden es gemeinsam durchstehen, und am Ende wartet Gottes Lohn auf uns, wenn er uns zu sich ruft, um uns zu sagen, dass wir es recht getan haben.«
Beatriz seufzte. »Wie kannst du dir da nur so sicher sein? Denkt nicht jeder, er habe Gott auf seiner Seite?«
Isabel hob die Brauen. »Zweifelst du an mir?«
Beatriz schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nur manches Mal verwirrt. Natürlich stehe ich zu dir und werde dir immer dienen.«
Jimena fühlte ein Brennen im Hals, und Übelkeit stieg in ihr auf. Sie konnte Isabels Enttäuschung spüren, als sei es ihre eigene Pein. Ja, vielleicht war es ihr eigener Schmerz, den sie über den Verrat empfand, den zumindest Isabel nicht hatte kommen sehen. So war es Jimena, als müsse sie Beatriz’ Treueschwur widersprechen, doch sie presste die Lippen fest aufeinander, damit die Worte ihr nicht entschlüpften. Wie hätte sie die Freundin einer Handlung bezichtigen können, für die sie sich noch gar nicht entschieden hatte? Vielleicht gab es ja einen Weg, das Ganze zu verhindern. Vielleicht würden noch Jahre ins Land gehen, ehe sie diesen verhängnisvollen Entschluss fasste? Jimena wusste es nicht. Was sie allerdings noch viel mehr bedrückte, war die Frage, wie es überhaupt zu diesem Verrat kommen sollte. Was lauerte dort in den Schatten ihrer Zukunft, das Beatriz so sehr verängstigte, dass sie ihren Schwur brechen und Isabel den Rücken kehren würde? Jimena sah zu Isabel hinüber, die so stolz und voller Tatendrang war und
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