Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Toten aufzunehmen, die in der brütenden Sommerhitze die Pestilenz auszudünsten schienen.
»Wir sollten ebenfalls nach Madrid gehen oder sonst irgendwohin, wo wir in Sicherheit sind«, drängte Jimena, obgleich sie wusste, dass das Schicksal seine Hand bereits ausgestreckt hatte, um sein Opfer zu ergreifen und es zu zerstören. Sie schickte Isabel zum Marquis de Villena, der selbst bereits seine Truhen gepackt hatte, um sich auf seine Festung Belmonte im Südosten des Landes zurückzuziehen, doch sie stieß auf taube Ohren.
»Dann nehmt uns mit nach Belmonte«, bat Isabel, »wenn Ihr uns schon nicht nach Madrid reisen lasst.«
»Ah, Ihr würdet Euch freiwillig in die Höhle des Löwen begeben? Belmonte ist für seine Festungsmauern berühmt!«
Der Marquis de Villena lächelte, doch es war kein angenehmes Lächeln. Jimena wich unwillkürlich vor der kalten Verschlagenheit zurück. Isabel jedoch straffte den Rücken und sah ihm fest in die Augen.
»Ja, das würde ich, wenn wir dort vor dem Schwarzen Tod sicher sind«, gab Isabel zurück. »Ihr wisst vermutlich, dass zwei der Wächter, ein Küchenmädchen und einer von Alfonsos Pagen erkrankt sind? Und ich fürchte, keinem von ihnen ist noch zu helfen.« In ihre Miene trat ein verächtlicher Ausdruck. »Bedenkt es wohl, Marquis. Was nützen Euch Eure königlichen Geiseln, wenn die Pest sie dahinrafft?«
Juan Pacheco grinste. »Das ist natürlich ein Argument, dem ich nichts entgegenzusetzen habe. Ihr wisst, dass Carrillo toben wird, wenn ich Euch mitnehme? Aber ja, warum nicht? Er selbst verschanzt sich hinter den Mauern seines Landguts in Alcalá de Henares und meidet Toledo, solange dort der Tod wütet. Ja, vielleicht ist er mir sogar dankbar, wenn ich Euch nach Süden schaffe.« Er hob die Brauen und sah Isabel an, die nur stumm dem herausfordernden Blick standhielt.
»Gut, dann geht in Euer Gemach und packt, was Ihr nicht entbehren könnt. Wir reisen morgen bei Tagesanbruch.«
Isabel nickte steif und presste ein Wort des Dankes heraus, dann wandte sie sich brüsk ab und ging davon. Ihre Damen folgten ihr, um die Reisekisten fertigzumachen, doch es war bereits zu spät. Als Isabel in das Gemach ihres Bruders trat, um ihm von der bevorstehenden Reise zu berichten, sah er sie aus fiebrig glänzenden Augen an.
»Mach dir keine Sorgen, Schwesterchen«, sagte er mit einem Lachen. »Es ist nichts Ernstes.«
Es war das letzte Mal, dass sie ihn lebend sehen sollte. Obwohl Isabel tobte, gestattete man ihr nicht mehr, in die Nähe ihres Bruders zu kommen. Jimena schlich sich ein paarmal zu ihm, um Isabel von seinem Zustand zu berichten, doch die Nachrichten, die sie brachte, waren alarmierend und machten die schlimmste Ahnung bald zur Gewissheit: Es war die Pest, und sein Zustand verschlechterte sich stündlich. Natürlich ließ man die besten jüdischen Ärzte kommen, die es bei Hof gab. Enrique schickte seinen eigenen Leibarzt, um den Halbbruder zu retten, doch vergeblich. Auch die Gelehrten standen dem Schwarzen Tod hilflos gegenüber.
»Du darfst nicht mehr zu ihm gehen«, beschwor Beatriz die Freundin, als Jimena sich wieder zum Krankenlager aufmachen wollte. »Sonst verlieren wir auch noch dich.« Sie senkte die Stimme, damit Isabel sie nicht hören konnte. »Denn für Alfonso gibt es keine Hoffnung mehr, nicht wahr?«
Jimena zögerte mit ihrer Antwort. »Hoffnung gibt es immer«, sagte sie dann ebenso leise, »doch es wird ein Wunder Gottes nötig sein, um ihn jetzt noch zu retten.«
Beatriz nickte und bat noch einmal: »Bleib hier. Er hat seine Ärzte und die Nonnen, die ihn voller Fürsorge pflegen.«
Jimena versuchte in sich hineinzuhören. Sie sah zu Teresa hinüber, selbst überrascht, dass sie den Rat ihrer stummen Cousine suchte. Wie immer hatte Teresa zugehört und nickte ihr nun zu. Wieder einmal fragte sie sich, ob auch Teresa mit dem Gesicht gesegnet war und mehr sehen konnte als andere Menschen. Nun jedenfalls lächelte sie und nickte Jimena aufmunternd zu. Ja, sie hatte recht. Obgleich Jimena ihre eigene Zukunft nicht sehen konnte, war sie sicher, dass sie nicht in diesen Tagen in Ávila an der Pest sterben sollte. Nein, sie würde Isabel noch ein weites Stück auf ihrem Lebensweg begleiten.
»Du musst dich nicht sorgen, Beatriz«, sagte sie, »meine Zeit ist noch nicht gekommen, und deine auch nicht.«
Noch in derselben Nacht, am 5. Juli im Jahre des Herrn 1468, starb Alfonso, der Thronfolger von Kastilien, im Alter von fünfzehn Jahren
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