Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Gedanken und schüttelte dann den Kopf, mahnte aber – wie Carrillo – die Königinwitwe, den Hof nach Madrigal des las Altas Torres zu verlegen. Zum Glück hatte der Verwirrten das unverhoffte Wiedersehen mit ihrer Tochter Isabel einen lichten Moment beschert, sodass sie einwilligte, in den alten Sommersitz ihres Gatten umzuziehen. Ihr Haushofmeister Gómez Manrique veranlasste alles Nötige, sodass sie bereits am nächsten Tag abreisen konnten. Dominga begleitete sie. Die rasch gealterte Königin klammerte sich immer wieder an ihre Hand und sah sich furchtsam um, wenn sie wieder einmal vergaß, dass sie selbst den Umzug befohlen hatte, oder wenn sie nicht erkannte, wo sie sich gerade befand. Dann schwankte sie zwischen panischer Angst und Wutanfällen. Doch meist zog sie sich nur in ihre eigene geistige Welt zurück und verfiel in eine traurige Mutlosigkeit, aus der auch Isabel sie nur schwer wieder zurückholen konnte. Dominga half, so weit es in ihren Kräften stand, beruhigte sie, wenn sie weinte oder schrie, und heiterte sie mit Musik oder Kräutertränken auf, wenn sie der Lebensmut zu verlassen drohte.
»Ach, es ist schlimm mit ihr geworden«, sagte Isabel und blinzelte die Tränen weg, die ihr in die Augen zu steigen drohten. »So schrecklich kam es mir in meiner Erinnerung nicht vor.«
»Ihr habt recht«, bestätigte Dominga, ohne es zu beschönigen. »Der Zustand Eurer verehrten Mutter hat sich verschlechtert, und es gibt kein Zurück. Ihr Geist verfällt. Es ist, als würde sie Stück für Stück in eine uns unbekannte Finsternis abtauchen.«
Isabel nickte mit gequälter Miene. »Manches Mal habe ich Angst, sie könnte sich während ihrer Anfälle etwas antun.«
Wieder stimmte Dominga zu, dass diese Möglichkeit bestand. »Sie weiß dann nicht, was sie tut, und ist sich der Folgen nicht bewusst.«
»Ja, gerade deshalb!«, rief Isabel und griff nach Domingas Händen. »Ihr müsst bei ihr bleiben, bitte! Wenn sie schon ihren Geist und ihre Gesundheit verliert, darf sie nicht auch noch ihre unsterbliche Seele zerstören. Bedenkt, sie würde niemals Gottes Herrlichkeit schauen dürfen, wenn sie selbst Hand an sich legt und ihr Leben beendet. Dann wäre ihr das Paradies für immer verwehrt.«
Jimena sah, dass Dominga die schroffen Widerworte, die ihr auf der Zunge lagen, herunterschluckte. Stattdessen versprach sie, dass sie auf die Königin achten und das Schlimmste verhindern werde.
»Ihr dürft nicht von ihrer Seite weichen«, beschwor Isabel sie. »Versprecht es mir!«
Widerstrebend leistete Dominga den Schwur. Jimena wartete, bis sie mit ihrer Tante und Teresa allein war, ehe sie sie auf ihre Bedenken ansprach.
»Wolltest du die Königin verlassen?«
Dominga nickte. »Zumindest für die Zeit einer Reise.«
Jimena sah ihre Tante neugierig an. »Eine Reise? Wohin denn? In unsere alte Heimat nach Sevilla?«
Sie wusste, noch ehe Dominga den Kopf schüttelte, dass sie falschlag. »Nein«, sagte sie langsam, »du wolltest nach Osten reisen, nicht wahr? Nach Aragón!«
Die Ältere neigte zur Bestätigung den Kopf. »So ist es. Es wird Zeit, dass die Dinge in Bewegung geraten. Man muss den König und seinen kriegstreiberischen Marquis vor vollendete Tatsachen stellen, ehe noch ein Unglück geschieht.«
»Enrique würde Isabel nie etwas antun. Ich konnte nur Güte in seinem Herzen erkennen.«
»Das schon«, gab Dominga zu, »doch der König ist zu wankelmütig und lässt sich von falschen Freunden zu leicht beeinflussen.«
Jimena seufzte. »Ja, das stimmt, und dem Marquis de Villena traue ich jede Schandtat zu. Aber müssen wir uns wirklich sorgen? Ist Isabels Weg nicht vorherbestimmt? Ich habe ihr gekröntes Haupt in vielen Nächten gesehen.«
»Ich auch, mein Kind«, gab Dominga zu. »Dennoch ist das, was wir sehen, nicht unabänderlich. Man darf sich nicht darauf ausruhen. Vielleicht wird es nur dann so kommen, wenn wir die Zeichen rechtzeitig erkennen und das Richtige tun! Vielleicht sehen wir deshalb diese Dinge, um dafür zu sorgen, dass sie eintreffen.«
»Und wenn wir versagen?«, rief Jimena entsetzt.
Dominga hob nur stumm die Schultern.
Darüber musste Jimena erst einmal nachdenken. »Wer sind wir, dass wir glauben, in das Rad der Geschichte eingreifen zu können?«, fragte sie nach einer Weile leise.
Dominga trat auf sie zu und nahm ihre Hände in die ihren. »Hast du das nicht bereits getan?«
»Ich? Du meinst, ich hätte das Schicksal beeinflusst? Wie sollte mir das möglich
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