Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Museum umsah.
Als sie wieder auf den Platz hinaustrat, hatte sich der Himmel bedrohlich zugezogen, und auch der Wind hatte noch weiter zugenommen und fuhr in eisigen Böen auf sie herab. Frierend zog Isaura ihre Jacke enger, dennoch schlug sie nicht den direkten Weg zu ihrem Wagen ein. Sie wollte noch einen Blick auf das Kloster werfen, das ihr die Señora im Touristenbüro so warm ans Herz gelegt hatte. Convento de Santa Clara las Isaura auf ihrer Karte. Ein ehemaliger königlicher Palast, der auf Wunsch der damaligen Königin zu einem Kla rissenkloster umgewandelt worden war. Außerdem gab es noch zwei weitere Konvente, fünf Kirchen, ein altes Pilgerhospital und drei Einsiedeleien. Isaura schüttelte den Kopf. Es war schwer, sich das Leben in der Zeit vorzustellen, als die Kirche, ihre Ländereien und ihre Macht einen wesentlichen Teil des Landes und des Lebens der Menschen ausgemacht hatten. Nein, so viel Heiligkeit wollte sie sich nicht antun. Vorerst stand nur das Klarissenkloster auf ihrer Besuchsliste. Weit konnte es nicht sein. Isaura sah zum Himmel auf. Es sah schon recht bedrohlich aus.
Ach was, nun war sie schon einmal hier, da wollte sie sich wenigstens vergewissern, ob das Kloster sich als lohnend für eine genauere Untersuchung anbot. Wenn sie Glück hatte, würde der Regen noch eine Weile warten. Und wenn nicht? Pech gehabt. Mehr als nass werden konnte sie nicht. Dann würde sie nachher in ihrem Häuschen den Kachelofen einheizen und es sich zusammen mit dem Kater in wohliger Wärme gemütlich machen.
Ihr Häuschen! Der Klang gefiel ihr und ließ sie lächeln, während sie sich mit ausladenden Schritten nach Osten wandte. Sie gelangte in eine Art Garten mit breiten Plattenwegen zwischen eingefassten Beeten, mit Rosenbogen, hübschen altmodischen Laternen und einigen Bänken, von denen aus man den Blick über den Duero genießen konnte. Jardines del Palacio, »Palastgärten«, stand auf ihrer Stadtkarte.
Ein Donnerschlag zerriss die Luft. Isaura zuckte zusammen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee, und sie sollte ihren Ausflug lieber auf einen anderen Tag verschieben. Sie blieb stehen und beschloss umzukehren und nach Hause zu fahren.
Nach Hause? Ihr Geist und ihr Herz meinten nicht die Wohnung in München, in der sie sich erst nach vielen Monaten heimisch gefühlt hatte. Nein, ihr Herz sehnte sich nach dem windschiefen, alten Häuschen mitten in Kastilien.
Die Luft flirrte vor Spannung, und Isaura wurde von einer Welle von Gefühlen erfasst, derer sie sich nicht erwehren konnte. Wie der peitschende Sturmwind rissen sie sie mit sich. Die dunkle Königin. Der ihr so feindselig erscheinende Palast. Das Zimmer, das fast immer im Finstern lag oder nur vom Licht einer flackernden Kerze erhellt wurde. Sie hörte ein Kind leise vor sich hin weinen und sah in das traurige, ihr aus so vielen Nächten vertraute Gesicht. Dann schrie die Frau auf. Sie stand nun draußen an der Balustrade der die Burg wie ein Wehrgang umgebenden Galerie. Zwei Männer packten sie an den Armen. Eine Frau keifte auf sie ein, doch die dunkle Königin wehrte sich mit allen Kräften. Isaura schnitt es ins Herz. Sie wollte eingreifen, doch sie tat es nicht, und sie schämte sich dafür. Die Männer in ihren farbenprächtigen Uniformen schleiften die Tobende mit sich. Isaura hörte wieder das Kind weinen, dessen Hand sie plötzlich in der ihren spürte. Auch sie wurde rüde aufgefordert, in die Gemächer zurückzukehren. Sie spürte einen Stoß im Rücken und nahm das Kind, das nun voller Angst aufschrie, schützend in ihre Arme. So ergab sie sich in ihr Schicksal und ließ sich den Gang entlangtreiben. Die schwere Tür fiel hinter ihnen zu und warf sie in die Finsternis ihres ewigen Gefängnisses zurück.
Ein Blitz sprang von einer Wolke zur nächsten und raste dann mit einem Zischen zur Erde. Der Donnerschlag folgte ihm und ließ den Boden erzittern. Isaura fiel auf die Knie und schrie. Ein Schmerz breitete sich in ihrem Innern aus, der sie zu zerreißen drohte.
Da barsten die schwarzen Wolken, und der Regen prasselte auf sie herab. Wieder blitzte es, und der Donner dröhnte. Isaura hatte das Gefühl, ihre Haare würden zu Berge stehen. Sie kauerte sich zusammen und barg das Gesicht in den Händen. So verharrte sie, während Wind und Regen mit eisigen Fingern an ihr zerrten. Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper, und ihre Tränen vermischten sich mit dem Wasser des Regens, der sie längst bis auf die Haut durchnässt
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