Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
weiß nicht, ob Enrique Isabel wirklich einsperren lassen würde, sollte er sie in seine Hände bekommen. Wir dürfen nichts riskieren, was ein Treffen der beiden Brautleute verhindern könnte.«
»Das sich beide so bald wie möglich wünschen, sagt zumindest Don Gutierre de Cárdenas.« Jimena runzelte die Stirn. »Wobei ich mir nicht sicher bin, ob er nicht übertreibt, wenn er behauptet, das Volk würde Fernando mit offenen Armen aufnehmen und sich hinter ihn und Isabel scharen.«
»Da übertreibt er ganz sicher!«, stimmte ihr Dominga zu. »Die meisten Familien von Adel, die Macht und Einfluss be sitzen, sind Aragón gegenüber ablehnend gestimmt, wenn nicht sogar feindselig. Es gibt wesentlich mehr, die Portugal zuneigen. Und dass Portugal einen Zusammenschluss von Kastilien und Aragón mit allen Mitteln zu verhindern sucht, ist verständlich. Daher ist Eile geboten und eine gewisse List. Fernando kann nicht einfach mit seinem Gefolge nach Kastilien reisen und mit der Thronerbin des Landes vor den Altar treten. Außerdem gibt es da noch Juan II .« Dominga rollte vielsagend mit den Augen.
»Was ist mit ihm?«, erkundigte sich Jimena. »Ich weiß, dass der König von Aragón alt und fast blind ist und dass er als tyrannisch gilt, aber er muss diesen Plan doch befürworten! Was könnte seinem Sohn denn Besseres passieren?«
»Wenn man davon ausgeht, dass der Weg zum Thron von Kastilien über Isabels Hand führt, dann hast du recht, und genau davon gilt es ihn zu überzeugen. Du wirst deine ganze Kraft brauchen«, fügte sie warnend hinzu. »Er ist ein alter, starrsinniger Fuchs, der stets seine eigenen Intrigen spinnt. Stelle alles infrage und sei wachsam!«
Das musste Jimena erst einmal verdauen. »Ich? Was meinst du damit?«, fragte sie schließlich und fühlte sich plötzlich ungewohnt verzagt.
Dominga beugte sich vor und sah sie eindringlich an. »Du wirst mit Don Gutierre de Cárdenas, Don Alonso de Palencia und Don Gonzalez de Chacón nach Aragón reisen und dem König die Mitgift übergeben, die Erzbischof Carrillo bereitgestellt hat. Und dann bringt ihr den Prinzen wohlbehalten zu seiner Braut! Es ist an dir, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen auszuweichen!«, schärfte Dominga ihr ein.
»Warum ich?«, begehrte Jimena auf. »Ich bin noch nicht so weit. Du bist die mächtige, weise Frau, nach der selbst Könige schicken. Du solltest gehen.«
Dominga schnitt eine Grimasse. »Ja, das würde ich, hätte ich nicht Isabel meinen Schwur geleistet. Aber vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass du dich bewährst und den Lauf der Geschichte um diesem entscheidenden Schritt voranbringst. Schau nicht so ängstlich. Ich würde es nicht zulassen, wenn ich zweifeln müsste. Ich werde dir alles, was du wissen musst, beibringen, ehe ihr aufbrecht. Und am besten fangen wir gleich damit an. Verschließe die Tür. Es wäre nicht gut, wenn unversehens jemand hereinkäme und sehen oder hören könnte, was nicht für seine Augen und Ohren bestimmt ist.«
Jimena lernte schnell. Dominga lehrte sie unglaubliche Dinge und brachte sie jeden Tag erneut zum Staunen. Nein, sie hatte nicht einmal einen Hauch einer Ahnung gehabt, wozu ihre Tante fähig war. Anderseits stießen sie auch täglich an Grenzen, die sie nicht überwinden konnte oder wollte.
»Es gibt eine Möglichkeit«, sagte Dominga manches Mal, »doch die wollen wir nicht ins Auge fassen.«
»Warum?«, verlangte Jimena zu wissen.
»Weil jede von uns ihrem Gewissen unterworfen ist und entscheiden muss, was gut und was böse ist. Selbst wenn ich die Existenz von Hölle und Fegefeuer zumindest in der Art, wie die Priester sie uns ausmalen, bezweifle, so glaube ich doch an den Schöpfer oder an die Mutter Erde mit ihrer allumfassenden Macht und daran, dass sich jeder für sein Tun verantworten muss.«
Jimena nickte, obgleich es sie reizte, auch diese Schranken zu sprengen – nur um zu wissen, nicht um Böses zu tun –, doch Dominga blieb hart.
»Manches Mal ist das Wissen allein schon schrecklich genug und kann einen Schaden in Geist und Herzen anrichten, der nicht wiedergutzumachen ist. Stell es dir vor wie eine Krankheit, die, wenn sie einen einmal erfasst, nicht nur den Körper, sondern auch den Geist und das Gute des Herzens für immer zerstören kann.«
So übten sie, was Dominga für wichtig hielt, und das war mehr als genug, Jimena in Atem zu halten. Ihre Tante war eine strenge Lehrerin, die nur mit Perfektion zufriedenzustellen war.
»Es ist
Weitere Kostenlose Bücher