Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Marquis gelungen ist, sie alle abzufangen, erfährt der Erzbischof früher oder später von der Belagerung«, meinte Don Gonzáles zuversichtlich.
Gutierre de Cárdenas runzelte seine dichten Augenbrauen. »Dann hoffen wir auf früher, denn ich fürchte, in der Stadt beginnt es zu rumoren. Ich wage nicht zu sagen, dass wir noch lange standhalten werden.«
Der Meinung war auch der Marquis de Villena und schickte eine Abordnung in die Stadt, um eine geregelte Übergabe auszuhandeln. Im Grunde interessierten ihn weder die Stadt mit ihren Reichtümern noch ihre Bewohner. Er wollte lediglich die Kronprinzessin, dann würde er Leben und Gut aller Bürger schonen. Jimena konnte nur hoffen, dass das nicht zu verlockend für diejenigen klang, die bereits ihre täglichen Mahlzeiten einschränken mussten. Noch gelang es, das Ansinnen des Marquis zurückzuweisen. Nicht nur Jimena war erleichtert, doch der Tag hielt noch eine Überraschung für sie parat. So viel sie zu Anfang auch an ihn gedacht und mit seinem Entschluss gehadert hatte – als sie nun seine Stimme hörte, die ihren Namen rief, dachte sie, es müsse einer ihrer Tagträume sein, die sie so oft überfielen.
Nein, er war wirklich gekommen, und da er seinen Ruf beharrlich wiederholte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich umzudrehen und in sein Gesicht zu sehen.
»Ramón, was für eine Überraschung«, begrüßte sie ihn kühler, als sie es vielleicht beabsichtigte, um ihn den tiefen Schmerz, den sie empfand, nicht merken zu lassen.
»Du bist überrascht, liebe Cousine?«, erwiderte er in scherzhaftem Ton. »Das kann ich gar nicht glauben, wo du doch immer alle wichtigen Ereignisse vorhersiehst.« Er trat auf sie zu und griff nach ihren Händen.
»Die wichtigen Ereignisse schon«, wiederholte sie noch immer abweisend und entzog ihm ihre Hände. »Was willst du?«
Sein Lächeln verblasste. »Du zürnst mir noch immer? Das tut mir leid. Ich habe dir längst verziehen, dass du dich in deiner Entscheidung geirrt hast.«
»Ich habe mich nicht geirrt«, zischte sie. »Du stehst auf der falschen Seite!«
Ramón schien nun ebenfalls verärgert. »Ich stehe auf der Seite des rechtmäßigen Königs!«
»Oh ja«, gab Jimena zurück. »Der König aus einem Geschlecht, das ja so rechtmäßig den Thron erlangte. Lass es mich kurz zusammenfassen.« Sie kniff die Augen zusammen. »War es nicht so, dass König Pedro auf dem Thron saß, als seine Halbbrüder gegen ihn rebellierten und einen Bürgerkrieg anzettelten? Und war es nicht sein Bruder Enrique von Trastámara selbst, der Pedro zu Boden stieß und ihn mit der Klinge seines Dolchs tötete, um sich selbst auf den Thron zu setzen und damit die Dynastie zu begründen, deren Spross du mit so viel Zorn den rechtmäßigen König nennst?«
Doch so einfach ließ sich Ramón nicht einschüchtern. Auch er wusste über die Vergangenheit Bescheid.
»Ach, du meinst König Pedro, den man den Grausamen nennt? Kaum folgte er seinem Vater auf den Thron, verbannte er seine Halbbrüder und ließ deren Mutter hinrichten. Er heiratete Blanca de Borbón, verbrachte zwei Nächte mit ihr und ließ sie dann einer Verschwörung bezichtigen, um sie vergif ten zu lassen. Dann nahm er sich seine Geliebte Maria de Padilla auf den Thron und verwickelte das Land in einen Bürgerkrieg.«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Aber gut, wenn du der Meinung bist, es kommt mehr darauf an, dass ein fähiger Herrscher den Thron besteigt als der rechtmäßige Erbe, so kann ich dir nur beipflichten!«
Ramón verdrehte die Augen. »Komm mir nun ja nicht wieder damit, dass Isabel die große Königin sein wird, über die man noch in tausend Jahren sprechen wird!«
»So ist es aber«, sagte Jimena ernst und blinzelte, als sie unvermittelt wieder der Schmerz überfiel. Sie wusste nicht, was ihn erwartete, doch die dunklen Wolken, die sich am Horizont auftürmten, versprachen nichts Gutes.
»Bitte, glaub mir und bleib hier. Isabel braucht jetzt jede mögliche Unterstützung in dieser schweren Zeit.«
»Du meinst, auch andere sehen, was ich sehe, und verlassen sie mit fliegenden Fahnen? Ist dir je in den Sinn gekommen, dass alle anderen vielleicht recht haben könnten und du dich irrst?«
»Dann würde sich auch Dominga irren!«
»Meine Mutter?« Für einen Moment schien er verun sichert. »Ja, vielleicht irrt auch meine Mutter das ein oder andere Mal in ihrem Leben.«
Der Ausdruck in seinen Augen wurde plötzlich weich, und noch einmal
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